Fälle von Freiheit vor Gericht: „Noch steht das Recht auf Asyl im Grundgesetz“

Die entfesselte Migrationsdebatte schreibt Theatergeschichte. Das multimediale Stück „geRecht 2 – Asylrecht: Fälle von Freiheit vor Gericht“ taucht mit prominenter Besetzung (Corinna Harfouch, Pegah Ferydoni) ein in die Welt der Gerichte, wo die Auswirkungen neuer Asylgesetze sofort spürbar sind.

Vier Frauen erzählen von Flucht und Heimat, erinnern daran, dass Flucht viele Facetten enthalten kann, und was für eine Kraftanstrengung es ist, die Heimat zu verlassen und am neuen Ort ein Leben zu gestalten.

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Nach der Flucht aus Afghanistan klagt Azade Jahangiri gegen die Ablehnung ihres Asylantrags. Svenja Seidel verteidigt ihre deutsche Heimat gegen ebensolche Anträge. Ihre Mutter schreckte in den 80ern im letzten Moment vor der Flucht über die Mauer zurück, während die vierte Frau, die Richterin Katharina Baumann (Harfouch), diese Flucht geschafft hat.

Die Regisseurin von „geRecht2“: Lydia Ziemke

© Lukas Spijkermann

Durch die Begegnung mit der jungen Frau aus Afghanistan vermischen sich die private und berufliche Sphäre der Richterin. Am Ende erklärt sie die Idee von Gerechtigkeit innerhalb unseres Asylsystems zum Mythos. Als ein Kläger, der kurz vor seiner Anerkennung steht, unter Terrorverdacht gerät, werden die Prinzipien aller Prozess-Beteiligten unter dem Einfluss von Politik und Medien auf die Probe gestellt. 

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Zum Projekt

suite42 ist ein internationales Theaterautor:innen-Team, das sich schon zum zweiten Mal dem Themenkomplex Migration, Asyl, Gewalt und Justiz widmet. Suite42 „geRecht II – Fälle von Freiheit vor Gericht“ wird am 17. April im Theater Aufbau Kreuzberg uraufgeführt, als dreidimensionale theatrale Filminstallation. Lydia Ziemke ist die Regisseurin von „geRecht II“.

Frau Ziemke, wie kamen Sie auf die Idee für die Theaterserie „geRecht“?
Ich hatte zuerst zwei Gelegenheiten, Jurist:innen bei der Arbeit zu erleben: 2012 machte ich ein Feature für den Deutschlandfunk über die Proteste der Geflüchteten am Oranienplatz, und 2016 inszenierte ich einen Prozess im Maxim-Gorki-Theater, der im echten Leben nicht stattfinden sollte.

Was für ein Prozess?
Constanze Kurz gegen die Bundesregierung wegen der Wiedergabe ihrer persönlichen Daten an die NSA. Die dabei agierenden Richter:innen beeindruckten mich zutiefst in ihrer Unabhängigkeit und Hingabe. Ein Anwalt, der Menschen vom Oranienplatz vertrat, sagte mir, es gäbe diesen Mythos von der Gerechtigkeit in unserem Asylrecht. Das sollte man offenlegen. Das war der Auslöser.

Sie haben eine hybride Aufführungsform gewählt. Das ist ungewöhnlich.
Wir verbinden die Nahaufnahme des Films mit den experimentellen Qualitäten des Theaters. Und im Unterschied zu zweidimensionalem Film entsteht bei uns der dreidimensionale Raum nicht in den Bildern, sondern dazwischen.

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Was macht das mit dem Publikum?
Es bevölkert diesen Raum, es gehört quasi dazu. Der Raum ist dabei so groß, dass man sich zwischen den Szenen hin und her bewegt, und immer wieder neue Perspektiven auf das Geschehen wählen kann. Das Format hat uns dann immer weiter fasziniert, so daß wir nach dem Ende von Corona mit dem Material nicht wieder zum Theater allein zurückgekehrt sind. Außerdem konnten wir dadurch eben auch mit einer unvergleichlichen Besetzung arbeiten. Wir proben und drehen in wenigen Tagen, die diesem Thema viel Gewicht und Sichtbarkeit verleihen.

War es schwierig, so prominente Darstellerinnen wie Corinna Harfouch oder Pegah Ferydoni für das Projekt zu gewinnen?
2019, während der Corona-Zeit, hatte Frau Harfouch Zeit, unser Stück zu lesen, und mochte es. 2023/24 war die Planung schon sehr viel schwieriger, aber ihre Loyalität dem Projekt gegenüber ungebrochen. Ein unbegreifliches Glück. Frau Ferydoni kam zur zweiten Episode hinzu, sie hatte zufällig schon vom Projekt gehört, kannte die Kolleg:innen und sagte sofort zu.

Die Frage öffnet ein weites Feld, aber es passt eben zum Stück, zu „geRecht 2“. Wie beurteilen Sie den 5-Punkte-Plan der CDU in der Migrationsdebatte und dass, was jetzt in den Koalitionsverhandlungen mit der SPD offenbar daraus wird?
Noch steht das Recht auf Asyl im Grundgesetz und die Pflicht, Flüchtlingsschutz zu geben, in der Genfer Konvention. Und noch ist die einzige Möglichkeit, beides zu beantragen, im Land selbst zu sein, daher ist der Ausdruck „illegale“ Einreise sehr irreführend. Darüber hinaus ist Deutschland überhaupt nicht vorbereitet auf andere Flucht- und Migrationsgründe als Krieg und politische Verfolgung, auch ein Thema, das bei uns jahrzehntelang unbehandelt blieb.

Inwiefern ist Deutschland nicht vorbereitet?
Der Themenkomplex ist unglaublich vielschichtig und wird hier nur populistisch ausgeschlachtet, anstatt ihn endlich wirklich zu reformieren. Dazu würde es Ehrlichkeit und politischen Mut brauchen. Genau das, was wir mit diesem Theater-Projekt auch anregen wollen. Die Gerichte werden viel mehr Arbeit bekommen und in den allermeisten Fällen entgegen den Ideen der Regierung entscheiden. Außer natürlich, wenn die Richter:innen die Ideen selbst unterstützen, was Auswirkungen auf die Prozesse hat, wie wir in der neuen Episode zeigen.

Und die Bevölkerung?
Diese radikalen Pläne werden bei einem Großteil der Bevölkerung jedenfalls wenig Reaktionen hervorrufen. Jahrzehntelang wurde ihr der genannte Mythos von der Gerechtigkeit eingetrichtert. So herrscht gemeinhin die Überzeugung, dass unser System an den Problemen keine (Mit-)Schuld tragen kann, dass wir in Deutschland doch alles tun, was wir können und jetzt mal die andren dran sind, beziehungsweise, dass die Betroffenen irgendwie auch selbst Schuld an ihrem Schicksal haben. Das ist keine produktive Ausgangslage und gehört durchgerüttelt.