Dieser Schritt war nötig

Der RBB ist weiter von der Affäre um mutmaßlich verletzte journalistische Standards im Fall des Grünen-Bundestagsabgeordneten Stefan Gelbhaar erfasst. Ein Expertenbericht sollte Klarheit in die Angelegenheit bringen, die senderintern nur "die Causa" genannt wird. Der Begriff stammt aus der Rechtssprache und dient zur Umschreibung einer Schadensursache. Er ist damit gut geeignet, Verantwortung im Dschungel der Strukturen semantisch besonders elegant verschwinden zu lassen. Und welche Struktur ist verschlungener als die einer öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt?

Allerdings funktioniert Verantwortungsumschreibung nur, solange sich der Schaden in Grenzen hält und der Ruf nach personellen Konsequenzen nicht allzu laut wird. Beides jedoch, der Reputationsverlust für den Rundfunk Berlin-Brandenburg sowie der Druck der Öffentlichkeit, waren in der "Causa" Gelbhaar zuletzt so groß, dass Entschuldigungen und Absichtserklärungen nicht mehr ausreichten. Am Freitag räumten Chefredakteur David Biesinger und Programmdirektorin Katrin Günther ihre Posten. Sie übernehme Verantwortung, teilte Günther in einem Statement mit. Und betonte: "Wir müssen jetzt aber über Strukturen sprechen, nicht über Köpfe."

Das klingt nach Schlussstrichsehnsucht, ist aber richtig, wenn man in der ganzen Strukturdebatte nicht vergisst: Für die Strukturen sind Menschen verantwortlich, Menschen wie Biesinger und Günther. Personelle Konsequenzen waren da nicht zu vermeiden.

Wie die "Causa" Gelbhaar begann

Alles begann Ende Dezember, als bei der Ombudsstelle der Grünen 18 Beschwerden gegen den Grünenabgeordneten Stefan Gelbhaar wegen sexueller Belästigung eingingen. Die meisten Anschuldigungen waren anonym oder beschrieben Gerüchte, nur ein Vorwurf war konkret und enthielt eine eidesstattliche Versicherung. Demnach habe Gelbhaar eine Frau gegen ihren Willen gepackt und geküsst. Der RBB berichtete über die Vorfälle und die eidesstattliche Erklärung, ohne mit "Anne K.", die die Erklärung vermeintlich abgab, persönlich gesprochen zu haben. Im Nachhinein stellte sich dann heraus: Anne K. gibt es nicht, die eidesstattliche Erklärung ist falsch, und ihre Einlassungen sind eher eine Sache für die Ermittlungsbehörden als für die Öffentlichkeit. Denn das Ablegen einer falschen eidesstattlichen Erklärung ist in Deutschland strafbar. RBB-Chefredakteur David Biesinger entschuldigte sich darauf bei Stefan Gelbhaar für den inkriminierten Bericht und die damit verbundene Rufschädigung, betonte jedoch gleichzeitig, als Chefredakteur nichts mit dem Beitrag zu tun gehabt zu haben. Gelbhaar lehnte die Entschuldigung ab und verklagte, wie Ende Februar bekannt wurde, den RBB auf 1,7 Millionen Euro Entschädigung und Schadensersatz.

Im Sender fragte man sich da bereits seit Wochen: Wie konnte das bloß passieren? Ende Januar versprach RBB-Intendantin Ulrike Demmer, die "wirklich schwerwiegenden Fehler" in der "Causa" Gelbhaar in einer externen Untersuchung aufklären zu lassen. 60.000 Euro war das dem Sender wert. Am 12. März wurde der Abschlussbericht der Expertenkommission dem RBB-Rundfunkrat übergeben. Veröffentlicht wird er jedoch erst mal nicht, angeblich aufgrund datenschutzrechtlicher Bedenken, was in der öffentlichen Rundfunkratssitzung bei manchen Beteiligten für Befremden sorgte – vorsichtig formuliert.

Zwei Tage später folgte dann, was im politischen Kontext "Amtsverzicht" heißt: Biesinger und Günther baten um Entpflichtung. Für sie sollen senderintern neue Aufgaben gefunden werden.

Was der RBB aus der "Causa" lernen will

Doch was steht in dem Bericht, das Biesinger dazu veranlasst haben könnte, doch persönlich Verantwortung zu übernehmen? Die von RBB-Intendantin Ulrike Demmer am 12. März angekündigten "Strukturveränderungen" im Rundfunkrat geben darüber Aufschluss und lassen zugleich tief in die bis dahin üblichen Arbeitsweisen des Senders blicken. So soll es etwa künftig beim RBB verpflichtende Schulungen in Sachen Verdachtsberichterstattung geben. Heißt im Umkehrschluss: Hier herrscht ein grundsätzlicher Aufklärungsbedarf.

Dazu muss man wissen: Verdachtsberichterstattung ist in Deutschland nur unter strengen juristischen Bedingungen möglich und unterliegt deshalb zu Recht einer besonderen Sorgfaltspflicht. Wird hier geschlampt, fügt das dem Ruf des oder der Beschuldigten nicht nur einen möglicherweise irreparablen Schaden zu, sondern führt auch zu einem immensen Klagerisiko. Deshalb ist es etwa üblich, dass Justiziare besonders heikle Beiträge vor Erscheinen genau prüfen. Da geht es oft um Nuancen, einzelne Formulierungen, winzige Details.

Nun kann es sein, dass dem RBB-Justiziariat der inkriminierte Bericht niemals vorgelegt wurde. Das allerdings wäre dann ein redaktionelles und kein juristisches Problem. Dafür spricht: Als weitere "Strukturreform" verspricht Intendantin Demmer, dass bei "Recherchen dieser Tragweite" die "investigativen Einheiten" künftig hinzugezogen werden. Heißt konkret: Die Experten blieben im Fall Gelbhaar wohl außen vor, und die zuständige Redaktion war auf sich gestellt.

Auch die Chefredaktion soll künftig in derartige Recherchen eingeschaltet werden, versprach Demmer im Rundfunkrat. Voraussetzung dafür ist jedoch, dass die Info auch die Sendergewaltigen erreicht. Hier wären also alle in der Verantwortung: Die zuständige Redaktion, die ein Alarmzeichen nach oben funken muss, wie die Chefredaktion, die dieses Zeichen einzufordern und zugleich sicherzustellen hat, dass es nicht untergeht auf dem Weg durch den Instanzen-Dschungel. Und je größer der Laden, desto verschlungener das Institutionen-Unterholz.

Wer Chefredakteur oder -redakteurin wird, muss sich deshalb nicht nur bei "Recherchen dieser Tragweite", sondern grundsätzlich in alles einschalten können, allein aus Selbstschutz. Das hinzubekommen und den verschiedenen Redaktionen gleichzeitig das Gefühl der redaktionellen Freiheit und die Rückendeckung zu geben, die es braucht, um heikle Recherchen journalistisch und juristisch sauber veröffentlichen zu können, gehört zu den Kernkompetenzen eines Chefredakteurs und einer Programmdirektorin.

Der Abschlussbericht muss öffentlich werden

Den RBB treffen die Rücktritte und die "Causa" Gelbhaar zur Unzeit. Aber wann ist für so etwas schon die richtige Zeit? Noch immer hat sich der Sender nicht von der "Causa" Patricia Schlesinger erholt, also der monatelangen Schlammschlacht um die frühere RBB-Intendantin, die sich 2022 mit dem Vorwurf der Vetternwirtschaft und der Vorteilsnahme konfrontiert sah. Damals weigerte sich Schlesinger lange Zeit, Platz zu machen, am Ende wurde sie entlassen. Biesinger war bereits Chefredakteur unter Schlesinger. Er hat das alles aus nächster Nähe erlebt, gilt manchen im RBB als belastet. Ob er nun freiwillig geht oder zum Rücktritt ermutigt wurde, um zumindest diese "Causa" schneller zu beenden, ist zwar machttektonisch interessant, aber zur Heilung der Angelegenheit von untergeordneter Bedeutung.

Viel wichtiger ist, dass der Abschlussbericht der Expertenkommission öffentlich wird, um aus dem Versagen zu lernen. Datenschutzrechtliche Bedenken lassen sich beseitigen, diesbezüglich relevante Stellen schwärzen. Da ist viel möglich, wenn man Transparenz wirklich will. Und wenn es 60.000 Euro und eine eigens beauftragte Expertenkommission braucht, um an einem letztlich tragischen Fall zu zeigen, wie wichtig journalistische Standards in der praktischen Anwendung sind, ist das angesichts einer "Recherche dieser Tragweite" sinnvoll ausgegebenes Geld.