Game of Clones: Was hinter der Rückkehr der Schattenwölfe steckt
Sogar in George R. R. Martins Fantasy-Romanreihe „Das Lied von Eis und Feuer“ sind Schattenwölfe fast unwirkliche Kreaturen. Hochintelligent, viel größer als gemeine Wölfe und ausgestattet mit einem proportional größeren Kopf sowie einem kräftigeren Gebiss. In weiten Teilen von Martins Fantasiewelt, vielen bekannt aus der Fernsehserie „Game of Thrones“, gelten die Tiere als ausgestorben. Doch dann werden Welpen gefunden und Hauptfiguren der Saga als treue Begleiter an die Seite gestellt.
Jetzt fügt das Unternehmen Colossal aus den USA der Geschichte der Schattenwölfe ein Kapitel hinzu, das in der Realität spielt. In einer Pressemitteilung wird Martin zitiert, der dem Unternehmen als Investor und Berater verbunden ist: „Ich habe den Luxus, über Magie zu schreiben, aber Ben und Colossal haben Magie erschaffen, indem sie diese majestätischen Geschöpfe in unsere Welt zurückgebracht haben.“
Haben der Colossal-Geschäftsführer Ben Lamm und seine Mitarbeiter wirklich Schattenwölfe wieder herbeigezaubert? Spoiler: Fachleute erkennen zwar wissenschaftliche Fortschritte an, sehen jedoch nicht die Wiederbelebung einer ausgestorbenen Art, wie sie das Unternehmen als Erfolg verkündet. Also was sind das für Kreaturen, die nun an einem geheimen Ort in den USA in einem Gehege gehalten werden?
Genetische Sonderlinge
„Es bedurfte zweifellos einiger erstaunlicher technologischer Durchbrüche, aber die niedlichen Welpen Romulus, Remus und Khaleesi sind keine Schattenwölfe, sondern genetisch veränderte Wölfe“, sagt der Zoologe Philip Seddon von der neuseeländischen University of Otago. Schattenwölfe sind eine eigene Art: Canis dirus. Die Tiere lebten bis vor etwa 13.000 Jahren in Nordamerika und jagten dort Bisons, Hirsche und wahrscheinlich heute ebenfalls ausgestorbene Pflanzenfresser, vielleicht sogar Mammuts.
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Canis dirus, was so viel bedeutet wie „schrecklicher Hund“, war ein beeindruckendes Raubtier, zeigen Knochenfunde und auch eine im Jahr 2021 veröffentlichte Analyse von darin enthaltenem Erbgut von fünf dieser Tiere. Mit bis zu 70 Kilogramm Körpergewicht waren die echten Schattenwölfe deutlich größer als Wölfe, die ausgewachsen um die 40 Kilogramm wiegen. Und wie die Fantasy-Variante hatten sie einen verhältnismäßig größeren Kopf, ein stärkeres Gebiss und wahrscheinlich auch mehr Bisskraft.

© dpa/Mauricio Antón
Hauptergebnis der im Wissenschaftsmagazin „Nature“ veröffentlichten Studie war jedoch, dass die Tiere mit Wölfen (Canis lupus) gar nicht so viel gemein hatten – und dieser Befund stellt auch die Colossal-Erfolgsmeldung grundlegend infrage. Denn die Tiere des Unternehmens teilen bis auf einige gentechnische Veränderungen ihres Erbguts wenig mit dem echten, weiterhin ausgestorbenem Vorbild.
Wolf und Schattenwolf haben sich in der Evolution rund sechs Millionen Jahre lang getrennt voneinander entwickelt, ohne dass sie sich verpaarten. Wahrscheinlich war die genetische Distanz so groß, dass Canis lupus und Canis dirus keine gemeinsamen fruchtbaren Nachkommen zeugen konnten.

© imago images/Mary Evans
„Um sich genetisch so stark zu unterscheiden, muss Canis dirus in Nordamerika sehr lange isoliert gewesen sein“, sagte der an der Studie beteiligte Forscher Laurent Frantz von der Ludwig-Maximilians-Universität München. Das könnte auch zum Aussterben der Art beigetragen haben. Vielleicht war sie genetisch nicht flexibel genug, um sich an die veränderten Umweltbedingungen am Ende der Eiszeit anpassen zu können.
Romulus, Remus und Khaleesi
Ganz anders verhält es sich bei den Colossal-Wölfen, die fast ihr gesamtes Erbgut mit dem von Wölfen teilen. Wie das Unternehmen mitteilte, hat es aus zwei Schattenwolf-Knochen DNA gewonnen, aus der dann das vollständige Genom der Art zusammengesetzt wurde. Der Vergleich mit dem Erbgut von Wölfen und weiteren Hundeartigen zeigte, welche Genvarianten nur bei Schattenwölfen auftraten.
In Zellen von Wölfen veränderte Colossal dann die enthaltene DNA an 15 Stellen. Mithilfe der Crispr-Technik wurden Sequenzen der ausgestorbenen Art in 14 Gene des Wolfserbguts eingefügt. Das so veränderte Erbgut wurde dann in Eizellen von Hunden übertragen und die Embryonalentwicklung angeschoben. Die Colossal-Schattenwolf-Embryonen wurden von Hundemüttern ausgetragen.
Dass seine Bemühungen erfolgreich waren, erkannte das Team als es zum ersten Mal das helle Fell der sich entwickelnden Welpen sah. Diese Farbe kommt bei den nordamerikanischen „Grauwölfen“ nicht vor. Die Tiere seien zudem rund 20 Prozent größer als diese, teilte Colossal mit. Namen für die drei überlebenden Tiere waren schnell gefunden: „Romulus“ und „Remus“ für zwei Männchen und „Khaleesi“ nach einer Figur aus „Das Lied von Eis und Feuer“ für ein Weibchen.
Ein zierlicher Verwandter
Zwar können die Tiere damit nicht als die ersten lebenden Vertreter einer ausgestorbenen Art gelten, wie Colossal mitteilt. Aber die vollmundige Formulierung dient vermutlich eher dazu, Investoren zu begeistern. Das eigentliche ehrgeizige Vorhaben des Unternehmens ist auch nicht, verschwundene Tierarten genetisch identisch wieder auferstehen zu lassen, sondern Tiere zu erschaffen, die die ökologische Rolle ausgestorbener Arten übernehmen können.
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Die heutigen Verluste an funktionaler Biodiversität können ganze Ökosysteme destabilisieren. Wenn Aufgaben im Lebensraum nicht mehr übernommen werden, weil einzelne Arten aus einem Gebiet verschwinden, kann das die Lebensgrundlagen vieler weiterer Arten gefährden. Colossal will den Verlust der biologischen Vielfalt und ihrer Funktionen zurückdrehen. Die leitende Forscherin Beth Shapiro formuliert es so: „Die funktionelle Wiederbelebung ist der sicherste und effektivste Ansatz, um die verlorenen Phänotypen wiederherzustellen, die eine ausgestorbene Art einzigartig machen.“
Neben der Aufzucht der Schattenwölfe meldete Colossal in derselben Mitteilung auch die Geburt von vier Rotwölfen der vom Aussterben bedrohten Art Canis rufus. Die Embryonen waren aus Zellen erzeugt worden, die man mit einer einfachen Blutabnahme von noch lebenden Vertretern gewonnen hatte.
„Genetische Vielfalt sollte rechtzeitig erhalten, erweitert und untersucht werden, bevor wichtige bedrohte Tierarten wie der Rotwolf verloren sind“, wird Colossal-Mitbegründer George Church in der Mitteilung zitiert. Vielleicht haben sich die Überlebenschancen dieser eher zierlichen Vertreter aus der Familie der Wölfe gerade verbessert – im Schatten der großen Schattenwölfe.