Brain Drain aus den USA nach Deutschland?: Denkt nicht in Talenten – sondern in Verantwortung!

Die US-Wissenschaft bricht – aber Deutschland sollte nicht auf das Trümmerfeld hoffen. Trumps Angriff auf Demokratie, Rechtsstaat und Wissenschaftsfreiheit wird immer öfter als Gelegenheit verstanden: Die deutsche Wissenschaft kann im globalen Wettbewerb um die klügsten Köpfe endlich Boden gutmachen.

Das ist verständlich. Aber gefährlich. Denn wer jetzt auf Abwerbung setzt, statt auf Unterstützung, denkt zu kurz.

Von einer „Riesenchance“ für Deutschland und Europa spricht die Wirtschaftsweise Ulrike Malmendier. Sie fühle sich an die 1930er Jahre erinnert, in denen Deutschland in wesentlichen Disziplinen führend gewesen sei, sagte sie, selbst Professorin in Kalifornien. Damals seien viele Wissenschaftler vor den Nazis geflohen. „Das war der Anfang vom Aufstieg der USA als Wissenschaftsmacht. Jetzt können wir das umkehren.“

Die Demontage der freien Wissenschaft in der bislang führenden Forschungsnation der Welt produziert keine Gewinner, nirgendwo.

Jan-Martin Wiarda ist Journalist für Bildung und Autor des Tagesspiegels. Auf seinem Blog www.jmwiarda.de kommentiert er aktuelle Ereignisse in Schulen und Hochschulen. Dort lesen Sie auch seinen Kommentar in voller Länge.

„Die USA sind für uns ein neuer Talentpool“, sagte etwa Max-Planck-Präsident Patrick Cramer dem Spiegel. Er habe einige Namen auf seiner Liste, „bei denen ich funkelnde Augen bekomme“. Besonders am Herzen liege ihm die künstliche Intelligenz.

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So wichtig es ist, dass die deutschen Hochschulen und Wissenschaftseinrichtungen gerade zusammen mit der Politik nach einer Strategie im Umgang mit den USA suchen. Soll Deutschlands Attraktivität und Aufstieg als Wissenschaftsstandort wirklich davon abhängen, dass zunächst die Konkurrenz ihre Attraktivität einbüßen muss? Malmendier räumt selbst ein, dass Deutschland erst massiv investieren müsse, um mit den Bedingungen an US-Eliteunis mitzuhalten.

Die Demontage der freien Wissenschaft in der bislang führenden Forschungsnation der Welt produziert keine Gewinner, nirgendwo. Wenn ganze Wissenschaftsdisziplinen eingeschüchtert, herabgesetzt und beschnitten werden, wenn aus ideologischen Gründen Forschung gekappt wird, wenn Diversität bekämpft und Hochschulen über die Instrumentalisierung der Forschungsförderung auf Linie gebracht werden, dann verlieren wir alle, dann steht der weltweite wissenschaftliche Fortschritt auf dem Spiel.

Deshalb ist jetzt nicht die Zeit, die eigenen Interessen zu verfolgen, sondern für den Erhalt der US-Wissenschaft einzutreten.

Hilfe statt Abwerbung

Die wissenschaftspolitische Debatte sollte sich darauf konzentrieren, wie den vielen Wissenschaftlern in den USA geholfen werden kann, die nicht weggehen wollen. Sind sie erst weg, wird der Kampf um Demokratie und Wissenschaftsfreiheit noch aussichtsloser. Welche Möglichkeiten gibt es, ihre Arbeit dort mit hiesigen Fördergeldern zu unterstützen, über gemeinsame Forschungsprojekte etwa? Kann man ihnen vielleicht sogar die Anreise zu Konferenzen und Tagungen finanzieren?

Falscher Fokus auf KI und Stars

Wenn tatsächlich Extra-Gelder eingesetzt werden sollten, um Forschende aus den USA nach Deutschland zu holen, dann sollten sie nicht für Forschende in der KI und anderen Schlüsseltechnologien fließen. Deutschland müsste sich auf die wirklich gefährdeten Fächer konzentrieren: die kritischen Sozial- und Geisteswissenschaften oder die Klimaforschung.

Wäre die Bundesrepublik in den vergangenen Jahren bei der Verbesserung der Karrierebedingungen erfolgreicher gewesen, könnte sie ihre internationale Attraktivität noch viel stärker aus sich selbst schöpfen.

Jan-Martin Wiarda, Tagesspiegel-Autor

Wer hier Wissenschaftlern, entlassen oder nicht, Perspektiven fürs Weiterarbeiten und Forschen eröffnet, schützt Menschen und den internationalen Fortschritt. Es darf nicht um schillernde Stars gehen, die man immer schon haben wollte, sondern um die zweite Reihe. Die jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die die eigentliche Stärke und Kreativität der Wissenschaft ausmachen.

Der große Haken an der deutschen Wissenschaft

Für ein paar potenzielle Max-Planck-Direktoren oder Humboldt-Professoren bietet die Bundesrepublik Spitzenbedingungen. Aber für die breite Mehrheit der Forschenden in den USA gilt: Solange hierzulande befristete Verträge, intransparente Karrierewege und fehlende Personalentwicklung die Regel sind, bleibt Deutschland ein schwer vorstellbares Ziel. Da muss oft erst die Arbeitslosigkeit drohen, bevor ein Umzug ernsthaft infrage kommt.

Solange hierzulande befristete Verträge, intransparente Karrierewege und fehlende Personalentwicklung die Regel sind, bleibt Deutschland ein schwer vorstellbares Ziel.

Jan-Martin Wiarda, Tagesspiegel-Autor

Wäre die Bundesrepublik in den vergangenen Jahren bei der Verbesserung der Karrierebedingungen erfolgreicher gewesen, könnte sie ihre internationale Attraktivität noch viel stärker aus sich selbst schöpfen.

Digitale Infrastruktur sichern

Bei der Sammlung, Speicherung und Auswertung wissenschaftlicher Daten war der Rest der Welt bislang vielfach Nutznießer amerikanischer Systeme, finanziert teils oder vollständig aus Washington.

Das National Center for Biotechnology Information etwa betreibt DNA-Datenbanken und „PubMed“, die weltweit führende Literaturdatenbank für die Biomedizin. In der Chemie spielt das „Chemistry WebBook“ des National Institute of Standards and Technology eine zentrale Rolle. In der Astrophysik ist es das „Astrophysics Data System“ der Smithsonian Institution.

Die Liste ließe sich fast beliebig fortsetzen: Internationale Sozial- und Wirtschaftswissenschaftler, Geografen oder Klimaforscher nutzen regelmäßig US-Daten – weil sie oft umfassender, zugänglicher und verlässlicher sind als anderswo.

Doch manches bricht bereits weg. Datenerhebungen wurden gestoppt, Zugänge eingeschränkt, Plattformen abgeschaltet. Den Verlust spürt die globale Wissenschaft. Europa allein kann das nicht auffangen. Der Aufbau eigener Systeme ist komplex, teuer und dauert Jahre. Umso wichtiger ist jetzt eine strategische Antwort: Die Sicherung wissenschaftlicher Infrastruktur muss ganz oben auf die Agenda der Wissenschaftspolitik.

Das beginnt mit einer simplen, aber entscheidenden Frage: Wie lassen sich gefährdete Datenbanken und Websites außerhalb der USA spiegeln, bevor sie gelöscht, verändert oder zensiert werden?

Bundesforschungsminister Cem Özdemir (Grüne) sitzt wegen der US-Lage zurzeit häufiger zusammen mit den Chefs der großen deutschen Wissenschaftsorganisationen, um über mögliche Schlussfolgerungen und Initiativen zu beraten.

Natürlich gehe es um die Frage, dass Deutschland für diejenigen Forschenden, die in den USA nicht mehr arbeiten könnten, „ein attraktives Zielland“ werde. Doch sei, dass sich dieses Fenster nun öffne, eher keine gute Nachricht, weil die US-Wissenschaft in vielen Bereichen wie der Medizinforschung und der Klimaforschung großes geleistet habe und eigentlich unverzichtbar sei.

Die Präsidentin des Europäische Forschungsrat ERC, Maria Leptin, wiederum sagte: „Wir sollten vermeiden zu sagen: Denen geht es gerade schlecht da drüben, also holen wir sie uns alle wieder. Wir wollen nicht profitieren vom Unglück unserer Kollegen.“ Allerdings könne Europa ihnen „einen sicheren Hafen“ bieten

So ist es: Je lauter, schriller und chauvinistischer die US-Regierung wird, desto besser ist Deutschland beraten, strategisch klug zu agieren. Nicht Wettbewerbsdenken ist jetzt gefragt, sondern Weitsicht.