Größter Klon der Welt?: Riesiges Vorkommen stammt von einer Alge ab
Was Wissenschaftler bisher für Individuen einer eigenen Seetangart hielten, ist der womöglich größte Klon der Welt. Millionen identische Kopien einer einzelnen weiblichen Alge reihen sich am Grund der Ostsee aneinander, berichtet ein Forschungsteam im Fachjournal „Molecular Ecology“. In einigen Gebieten gebe es nur Blasentang-Klone, in anderen dazwischen auch herkömmlich über sexuelle Vermehrung entstandene Exemplare.
Zu den wohl bekanntesten Klonen der Welt zählt ein uralter Pappelwald in den USA namens Pando, der sich über mehr als 40 Hektar, eine Fläche von etwa 60 Fußballfeldern, erstreckt und Forschern zufolge bis zu 80.000 Jahre alt sein könnte. Das Alter des Blasentang-Klons in der Ostsee schätzen die Forschenden um Kerstin Johannesson von der Universität Göteborg auf maximal etwa 8000 Jahre.
Hoher Anpassungsdruck
Der Klon im Bottnischen Meerbusen zwischen Schweden und Finnland ist der Analyse zufolge nicht der einzige in der Ostsee, aber der bei weitem größte. Er ziehe sich mehr als 500 Kilometer weit von Öregrund bis knapp südlich von Umeå, hieß es. Definitiv handle es sich um Blasentang der Art Fucus vesiculosus, nicht wie bisher vermutet eine eigene Art namens Fucus radicans. Der Klon besitze bestimmte Eigenheiten wie schmalere Wedel, die zu dieser Annahme geführt hätten.
Einem Klon fehlt fast völlig die genetische Variation, die sonst dafür sorgt, dass es in einer Population Individuen gibt, die mit den Veränderungen umgehen können und das Überleben der Art sichern.
Kerstin Johannesson, Universität Göteborg
Was erst mal toll klingt, könnte ein ernstes Problem bedeuten: Die Arten der Ostsee stehen unter anderem wegen des Klimawandels unter hohem Anpassungsdruck. „Die prognostizierten Umweltbedingungen für die nächsten 70 bis 80 Jahre könnten zu einem Verlust von F. vesiculosus in der nördlichen und östlichen Ostsee führen, wenn sich die Populationen nicht an die neuen Bedingungen anpassen können“, erläutern die Forschenden.
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Dass auf gewaltigen Flächen nur identische weibliche Individuen wachsen, bedeutet aber, dass dort eine sexuelle Vermehrung der Art nicht möglich ist – und damit auch kaum Anpassung. Ohne ständige sexuelle Fortpflanzung gebe es nur wenige genetische Veränderungen im Erbgut, so Johannesson. „Einem Klon fehlt fast völlig die genetische Variation, die sonst dafür sorgt, dass es in einer Population Individuen gibt, die mit den Veränderungen umgehen können und das Überleben der Art sichern.“
Verbreitung mit Strömungen
Der Blasentang ist in den meisten Küstenregionen der Nord- und Ostsee sowie des Nordatlantiks bisher noch weit verbreitet. Er bildet bis in eine Wassertiefe von etwa zehn Metern Algenwiesen, in denen Fischnachwuchs heranwächst und viele Schnecken, Muscheln und Krebstiere leben. Zudem sind die Seetangflächen Lebensraum für größere Fische.
In weiten Teilen der Ostsee ist Fucus vesiculosus die einzige große Makroalge, wie es in der Studie heißt. Anders als die meisten Algenspezies verträgt der Blasentang einen niedrigen Salzgehalt und wächst darum auch in Brackwasser-Bereichen.
Die Forschenden hatten an 55 Ostsee-Standorten Proben von jeweils 15 bis 20 Individuen genommen und genetisch analysiert, dabei waren sie auf den weit verbreiteten Klon gestoßen. Die ursprüngliche Alge habe neue Populationen gebildet, indem Fragmente von ihr mit den Wasserströmungen verstreut wurden und zu neuen Exemplaren heranwuchsen. Möglicherweise bildeten die Millionen Individuen den weltweit größten Klon eines Organismus überhaupt, vermutet das Team.
Für die Zukunft des Giganten sieht es allerdings nicht rosig aus. Bis ins 20. Jahrhundert hinein war der Blasentang auch an der deutschen Ostseeküste überall verbreitet. Seit einigen Jahrzehnten wird dort allerdings ein extremer Rückgang beobachtet. Wissenschaftler führen das unter anderem auf die Überdüngung der Ostsee und den Klimawandel zurück. Für das marine Ökosystem ist das ein großer Verlust.
Viele lebensraumbildende Meeresarten wie Makroalgen, bestimmte Pflanzen und Korallen vermehren sich anteilig über Klone. Das könne ihr Anpassungspotenzial weltweit erheblich beeinträchtigen und ganze Ökosysteme bedrohen, wie die Forschenden um Johannesson warnen. Gerade in Meerengen und Binnenmeeren träten klimabedingte Veränderungen deutlich schneller ein als in den großen Ozeanen. Das Wasser der Ostsee erwärme sich zum Beispiel besonders rasch, zudem sinke der Salzgehalt und das Wasser werde trüber. (dpa)