Auf die Freundschaft
Wenn es einen Moment gab, in dem die Menschen in Schwedt an eine Zukunft ohne russisches Öl zu glauben begannen, dann war das, als der Bundeswirtschaftsminister in die Raffinerie kam und auf einen Tisch sprang. "Ich dachte, jetzt bewegt sich was", sagt Maren Schmidt, 49, die Chefin der Wohnbauten Schwedt, die neuerdings auch einen Co-Working-Space betreibt. "Ich habe geglaubt, dass er Lösungen findet, die uns weiterbringen", sagt Danny Ruthenburg, 43, Betriebsratschef der PCK-Raffinerie.
Robert Habeck hielt jene Rede im Frühjahr 2022 mit hochgekrempelten Hemdsärmeln und auf einem Tisch, damit er auch noch in der hintersten Reihe der versammelten Belegschaft nach Tatendrang aussah. Er erklärte damals, warum es aus Sicht der Bundesregierung nach der russischen Invasion in die Ukraine richtig sei, dem Kreml-Regime kein Geld mehr für Erdöl zu überweisen. So weit, so moralisch. Aber wie sollte das gehen? 1.200 Menschen arbeiten in der Raffinerie, nicht nur Schwedt und die Uckermark sind wirtschaftlich von ihr abhängig. Halb Ostdeutschland, Berlin sowie der Flughafen BER werden von hier mit Kraftstoff versorgt. Und dieser wurde fast 60 Jahre lang immer und vollständig aus russischem Öl gewonnen. Geliefert über eine Pipeline, die Erdöl aus Westsibirien über eine Strecke von 5.300 Kilometern via Weißrussland und Polen in die Rohrknäuel und Öfen von PCK pumpt.
Der Name der Pipeline ist: Druschba, Freundschaft.
Es hat nicht nur Habecks Tischrede bedurft, um die Menschen hier zumindest halbwegs von einer Zukunft jenseits der deutsch-russischen Freundschaft zu überzeugen. "Ich würde mich freuen, wenn Sie mich nicht nur als Ihren Feind sehen würden", sagte der Minister. Es folgten Besuche des Bundeskanzlers, von Staatssekretären, Habeck kam ein zweites Mal. Und es folgte Geld, viel Geld. Man legte ein sogenanntes Zukunftspaket auf, Hunderte Millionen, um den Wirtschaftsstandort für das postfossile Zeitalter umzurüsten, die Wasserstoffwirtschaft hochzufahren, innovative Unternehmen in die Region zu locken. Und um die Erdölversorgung über andere Herkunftsländer aufrechtzuerhalten. Man werde, so lautete das Versprechen, die Raffinerie stützen, komme, was wolle.
Seit Januar 2023 ist das Embargo auf russisches Pipeline-Öl in Kraft. Die Raffinerie läuft, Mitarbeiter wurden nicht entlassen. Kürzlich wurde die Beschäftigungsgarantie für die Angestellten verlängert, bis Juni. Man könnte sagen, die Regierung hat ihre Versprechen bislang gehalten.
Aber ist das so? Zwei Jahre nach dem Importstopp geben jedenfalls wieder Stimmen wie diese den Ton an: "Das Embargo fällt bei mir unter grüne Ideologie. Und dass bei ideologischer Politik nur Scheiße rauskommt, das wissen wir ehemaligen DDR-Bürger am besten." Das sagt der örtliche Landtagsabgeordnete des BSW, Reinhard Simon, 73 Jahre, früherer Theaterintendant.
Simon, der bereits 2022 die Demonstrationen gegen das Embargo anführte, ist nicht der Einzige, der eine Wiederaufnahme der Ölimporte aus Russland fordert. Viele hier fühlen sich von der Bundesregierung verraten. Der Betriebsrat von PCK klagt in einem Brief, unter anderem an Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) adressiert, über eine missliche wirtschaftliche Lage der Raffinerie. Förderversprechen seien nicht eingehalten worden, die Risiken groß. Der Import von Gas und Öl aus Russland dürfe kein Tabu mehr sein. Woidke äußerte Verständnis. Auf Nachfrage heißt es vom Ministerpräsidenten: Wenn Russland seinen Angriffskrieg beende, müsse eine "Normalisierung" der wirtschaftlichen Beziehungen Teil von Friedensverhandlungen sein. Schwedts Bürgermeisterin Annekathrin Hoppe (SPD) sagte, die Menschen in Schwedt könnten das Embargo nicht verstehen.
Wer also verrät hier eigentlich gerade wen? Die Bundesregierung mit ihren Versprechungen die Schwedter – oder verhält es sich genau andersherum?
Michael Kellner erscheint etwas wackelig auf dem Bildschirm: Videocall von der Rückbank einer Limousine, es ist eine seiner letzten Dienstfahrten als Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium. Er stand Robert Habeck schon bei dessen Tischrede zur Seite, bis heute ist er für die Rettung von PCK zuständig. Der Grünen-Politiker stammt aus Gera, die Uckermark ist sein Wahlkreis. Er sagt, dass allein durch das Embargo in Schwedt "Putins Kriegskasse" circa fünf Milliarden US-Dollar pro Jahr entzogen worden seien: "Wenn das mein Beitrag war, dann bin ich darauf stolz."