Von Sozialismus bis Seehofer: Das treibt die jüngsten Abgeordneten im Bundestag um

Jakob Blankenburg, SPD, hat mal Demonstrationen gegen das Polizeiaufgabengesetz organisiert. Nächsten Monat findet er sich höchstwahrscheinlich in einer Koalition mit der Union. Niklas Wagener, Grüne, wollte für den Wald in den Bundestag. Nach dem Attentat in Aschaffenburg hielt er seine wichtigste Rede.

Luke Hoß, Linke, ist erst seit anderthalb Jahren Parteimitglied. Er will eine Politik von unten in den Bundestag tragen. Und Konrad Körner, CSU, sieht sich in seinem Wahlkreis mit Rufen nach einer Koalition mit der AfD konfrontiert.

Nach der Bundestagswahl berichten die jüngsten Abgeordneten der neuen Fraktionen, wie sie zur Politik gekommen sind – und was sie im Parlament erreichen wollen. Diana Zimmer, die jüngste Abgeordnete der AfD, ebenfalls angefragt, stand nicht für ein Telefoninterview zur Verfügung.


An seiner Laufbahn sei eigentlich alles recht langweilig, sagt Konrad Körner, Rechtsanwalt und Abgeordneter der CSU im Deutschen Bundestag, am Telefon. Mit 32 Jahren ist er der älteste der interviewten Parlamentarier.

Tatsächlich liest sich Körners Lebenslauf wie ein weiß-blaues Klischee: Aufgewachsen in Herzogenaurach, einer Kleinstadt bei Erlangen, beide Eltern sind in der CSU parteipolitisch aktiv. Erst tritt Körner in die Kirchengemeinde ein und mit 15 Jahren in die Junge Union. Er wird Stadt- und Kreisrat, später Mitglied des Vorstandes seiner Partei.

Die AfD ist eine radikale Partei mit teils widerwärtigen Funktionären.

Konrad Körner, CSU

Körner hat, das sagt er am Telefon, einen differenzierten Ansatz, wenn es um die Asyl- und Zuwanderungspolitik geht. Den Leitsatz des früheren CSU-Vorsitzenden Horst Seehofer, wonach die Migration die Mutter aller Probleme sei, würde sich Körner nicht zu eigen machen. Sein Tonfall sei „zu scharf“ gewesen.

Herzogenaurach, Körners Geburtsort, ist Wiege und Hauptsitz der weit über die fränkische Provinz und Deutschland hinaus bekannten Sportmarken Puma und Adidas. Menschen aus knapp 100 Nationen arbeiten dort und ja, das funktioniere harmonisch, sagt Körner, denn alle trügen ihren Teil bei.

Dann sagt Körner aber auch: „Horst Seehofer hat mit seiner Haltung zur Migration in der Sache leider recht behalten.“ Er unterstütze qualifizierte Arbeitsmigration, die Zahl der Anträge auf politisches Asyl müsse sinken. Und er, Körner, stehe selbstverständlich hinter dem Fünf-Punkte-Plan von Friedrich Merz zur Migration.

Gegen die massenweise Inhaftierung von Menschen hat Körner grundsätzlich nichts einzuwenden, weil es aus seiner Sicht den Druck erhöht: „Und wenn es nicht genug Haftplätze gibt, dann müssen die eben gebaut werden.“ Ob mit der Zurückweisung an deutschen Grenzen das Grundrecht auf Asyl ausgehebelt werde? „Das gibt es schon seit Beginn der 1990er nicht mehr“, wiegelt Körner ab.

Körner ist mit seinem Verweis auf den „Asylkompromiss“ von Union, SPD und FDP von 1993 auf Parteilinie. Doch im studentisch und städtisch geprägten Erlangen gibt es auch CSUler, die das Abstimmen der Union mit der AfD Ende Januar kritisieren.

Körner tut das nicht, steht aber dennoch von rechts unter Druck: „Mir wird im Wirtshaus gesagt, und zwar von nicht zu wenigen, dass wir doch mit der AfD koalieren sollen.“ Für Körner indiskutabel. „Die AfD ist eine radikale Partei mit teils widerwärtigen Funktionären“, sagt er. „Wir können diesen Menschen keine Verantwortung geben.“


Dass Luke Hoß im Bundestag sitzt, hat er Sahra Wagenknecht zu verdanken. Im Oktober 2023, kurz nach ihrem Austritt, sei er in die Linkspartei eingetreten, sagt Hoß am Telefon. Nun ist er der Jüngste im Parlament.

Hoß glaubt an eine Politik von unten und an eine Partei, die sich kümmert: Er engagierte sich ehrenamtlich in der Rechtsberatung für Geflüchtete, war aktives Gewerkschaftsmitglied, im Wahlkampf klopfte Hoß an 4500 Türen.

Parlamentarische Politik kann auch helfen, wenn mein Gehalt eine neue Waschmaschine finanziert.

Luke Hoß, Linkspartei, zur Begrenzung seines Gehalts als Abgeordneter

Von den gut 11.000 Euro, die er als Abgeordneter monatlich bekommt, will er nur rund 2500 Euro behalten. Sein Wahlkreisbüro bietet eine Sozialsprechstunde an, er will Menschen konkret helfen. „Parlamentarische Politik kann auch sein“, sagt Hoß, „dass mein Gehalt eine neue Waschmaschine finanziert.“

Sein Wahlkreis liegt in Passau, einer Unistadt in Bayern mit Zehntausenden Studenten. Und vielen, wie Hoß sagt, „normalen Menschen“. Hoß hat diese beiden Seiten in sich, das Arbeiterkind und den Akademiker: Aufgewachsen ist er mit einer alleinerziehenden Mutter im Großraum Stuttgart, in Armut, wie er sagt.

Die Grünen sind extrem nach rechts gerückt, vor allem in Fragen der Migration.

Luke Hoß zu seinem Austritt aus der Grünen Jugend

Nach dem Abitur kam die Verbürgerlichung: Umzug nach Passau, Jurastudium, Grüne Jugend. Es dauerte aber nicht lange, bis er wieder austrat. „Die Grünen sind extrem nach rechts gerückt, vor allem in Fragen der Migration“, meint Hoß. „In der Partei habe ich keine Verbündeten mehr gesehen.“

Im Bundestag will er für eine Politik einstehen, die Menschen eine Perspektive bietet – sei es durch bezahlbare Mieten oder den Kampf gegen Kinderarmut. „Das ist auch der beste Weg, um sicherzustellen, dass es in vier Jahren keine faschistische Regierung mit der AfD gibt“, sagt Hoß.


Niklas Wagener ist 26 Jahre alt und sitzt für Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag. Sein Wahlkreis ist in Aschaffenburg.

Bei den Grünen geblieben ist hingegen Niklas Wagener. Mit 14 gründet er den Aschaffenburger Ableger der Nachwuchsorganisation Grüne Jugend. Die erste Aktion: ein Infostand gegen die industrielle Tierhaltung in der Innenstadt.

Wagener wurde Stadtrat, vor vier Jahren zog er erstmals ins Parlament ein. Sein Slogan: „Für den Wald in den Bundestag“. Auf seiner Website gibt es ein Foto, das ihn in einem Wald zeigt, eine Hand am Baum. Grüner geht’s kaum.

Dann kam Corona. Aschaffenburg, die beschauliche Stadt am Main, entwickelte sich zu einem überregionalen Treffpunkt der Querdenkerszene. Die AfD erstarkte. Wagener, der erstmals mit 19 von Wahlplakaten lächelte, ist seither Ziel von Anfeindungen.

Diese Erfahrung hat seine Politik verändert. „Ich bin als Fachpolitiker für den Wald in den Bundestag eingezogen“, sagt Wagener. Jetzt sehe er sich „dem gesellschaftlichen Zusammenhalt verpflichtet“.

Ein solches Attentat verhindert man nicht, indem man den Familiennachzug einschränkt.

Niklas Wagener, die Grünen, zum Angriff in Aschaffenburg

Und dann, im Februar 2025, greift ein ausreisepflichtiger und psychisch kranker Mann aus Afghanistan eine Kindergartengruppe in Aschaffenburg an. Zwei Menschen sterben. Wagener hält im Plenum die wichtigste Rede seiner Bundestagslaufbahn, wie er später sagt.

Den Anschlag wird für Wagener zum Lackmustest, wie in einer aufgeheizten Lage Politik gemacht werden sollte. In Robert Habecks Zehn-Punkte-Plan sieht er keine passende Antwort. Er will eine Entschleunigung und Versachlichung der Debatte. „Ein solches Attentat verhindert man nicht“, sagt Wagener, „indem man den Familiennachzug einschränkt.“


Jakob Blankenburg von der SPD ist 27 Jahre alt. Er ist direkt gewählter Abgeordneter für Lüchow-Dannenberg – Lüneburg in Niedersachsen.

Der jüngste Abgeordnete der SPD-Fraktion ist ebenfalls schon zum zweiten Mal dabei. Politisiert habe er sich im Kampf gegen Fracking in der Lüneburger Heide, erzählt Blankenburg am Telefon. Nach dem ersten Praktikum in den Schulferien beim jetzigen SPD-Chef Lars Klingbeil folgte eine steile Karriere in der Partei – und die Wandlung von einem linken Aktivisten zum Realpolitiker.

2015 postet Blankenburg noch Demofotos online, Hashtag #refugeeswelcome und #alerta #antifascita. 2016 ein Konterfei von Karl Marx, Hashtag #socialism. Mit 19 wird Blankenburg Kreistagsabgeordneter für die SPD, ein Jahr später übernimmt er den Landesvorsitz der Jusos, organisiert Demos gegen das neue Polizeiaufgabengesetz des niedersächsischen Innenministers Boris Pistorius.

Als Bundestagsabgeordneter frage ich mich: Wie kann ich möglichst viel von meinen Vorstellungen umsetzen?

Jakob Blankenburg, SPD

„Nicht jede*r Vermummte begeht Gewalttaten“, wird Blankenburg in einer Pressemitteilung der Jusos zitiert, auf dem Cover ist ein Polizist, der einen Schlagstock hebt. Die Überschrift: „Gegen bayerische Zustände“. 2017 unterstützte Blankenburg die NoGroKo-Kampagne des Juso-Vorsitzenden Kevin Kühnert.

Jetzt könnte Blankenburg bald selbst eine Koalition mit Friedrich Merz (CDU) als Kanzler stützen. Ob ihm das Bauchschmerzen bereitet? „Ich habe immer noch die gleichen Werte wie damals“, sagt Blankenburg. Aber er sei Realpolitiker geworden: „Als Juso-Vorsitzender steht man in kritischer Solidarität mit der Partei“, sagt er: „Als Bundestagsabgeordneter frage ich mich: Wie kann ich möglichst viel von meinen Vorstellungen umsetzen?“

Da müssten Kompromisse geschlossen werden. Ob er einem Leistungsentzug beim Bürgergeld von bis zu 80 Prozent oder einer drastischen Senkung der Unternehmenssteuern zustimmen würde? Das sei Spekulation, sagt Blankenburg und ist ganz Parteipolitiker: Beim Koalitionsvertrag mit CDU und CSU gehe es ihm um das „Finden von belastbaren Problemlösungen, mit denen alle leben können“.

Das Gesamtpaket müsse stimmen. „In den Mittelpunkt zu stellen, was nicht geht, bringt uns nicht weiter“, sagt Blankenburg. Nicht verhandelbar seien hingegen die Grundwerte der SPD. „Diese müssen vertreten sein“, fügt Blankenburg hinzu. Die SPD habe da, sagt Blankenburg, „einen sehr klaren Kompass“.