Damit Merz‘ Plan aufgeht, muss alles sehr schnell gehen – aus mehreren Gründen

Das erste Sondierungsgespräch von Union und SPD mit dem Ziel einer Regierungsbildung kam schneller als gedacht. Und bot im Vergleich zu ähnlichen Gesprächsrunden nach Bundestagswahlen gleich vier Überraschungen.

Erstens: Es war keine der sonst üblichen Mammutrunden, die sich endlos ziehen, sondern eine vergleichsweise knappe und offenbar zielorientierte Angelegenheit. Beide Seiten arbeiteten offenbar mit ernsthaftem Einigungswillen und Disziplin. Das Gespräch im Jakob-Kaiser-Haus des Bundestags hatte am Freitagmorgen begonnen – um etwa 15 Uhr brachen alle Teilnehmer auf.

Zweitens: Es gab im Vorfeld des Treffens der insgesamt 18 Unterhändler und danach so gut wie keine Forderungen, kein Aufzeigen von „roten Linien“. Jedenfalls nicht in dem Ausmaß wie in der Vergangenheit. Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig, Vertreterin der SPD-Seite und sonst nicht unbedingt versöhnlich gegenüber der Union, erklärte zu Beginn des Treffens selten milde: „Beide Seiten müssen aufeinander zugehen, alle müssen sich zusammenraufen und bewegen.“

Schwesig hätte auch Bedingungen für weitere Verhandlungen stellen können und Bedingungen formulieren, sie hätte die Union kritisieren können. Zum Beispiel für die Anfrage der Union mit 551 Fragen zur Finanzierung von NGOs. Sie verzichtete darauf. Das zeigt: Die SPD ist nicht auf Krawall aus, sie will konstruktiv verhandeln.

Drittens: Anders als bei früheren Runden ist aus diesem ersten Gespräch tatsächlich – wie gegenseitig versprochen – nichts nach außen gedrungen. „Die Sondierungsgespräche haben in einer offenen und konstruktiven Atmosphäre begonnen“, heißt es in einer kurzen Mitteilung zum Treffen. Gesprochen worden sei übers Geld. Anfragen zu Details wurden nicht beantwortet. Das war bei Sondierungen in der Vergangenheit anders – da war der Mitteilungsbedarf der Teilnehmer oft deutlich größer.

Bei den Treffen 2021 der späteren Ampel-Koalition konnten Journalisten teilweise in Echtzeit erfahren, worüber gesprochen wurde. Ganz offensichtlich versuchen Union wie SPD das, was der mitverhandelnde CSU-Markus Söder einen „neuen politischen Stil“ nennt. Die beiden Unionsparteien und die SPD bemühen sich ernsthaft, sich trotz großer Differenzen zusammenzuraufen. Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz lobte die Atmosphäre auf einer Wahlkampfveranstaltung der Hamburger CDU am Freitagabend gar als „ausgesprochen gut und konstruktiv“. Man sei sich einig, „dass die Arbeit der Koalition so gut wird, dass die Ränder nicht noch stärker werden“.

Zuletzt und viertens: Niemand in dieser schwarz-roten 18er-Runde mag im Vorfeld von Aufbruch und Fortschritt sprechen; es gibt auch keine Verbrüderungsszenen, keine Treueschwüre, keine Selfies wie von Grünen und FDP 2021. Schwarz-Rot 2025 soll eine nüchterne Arbeits-Koalition werden. Das muss nicht schlecht sein, wenn sie damit die Probleme im Land löst.

SPD-Sondierer sind alte Bekannte – gut für Merz

Der SPD steckt das Scheitern der Ampel-Koalition noch in den Knochen. Zwar kann sie rückblickend der FDP die Schuld dafür in die Schuhe schieben. Aber die Sozialdemokraten wissen, dass es ihnen als Kanzlerpartei nicht gelungen ist, das Bündnis zu lenken, Ausgleich zu finden und Führung zu vermitteln. Das Scheitern der Ampel ist maßgeblich ein Scheitern der SPD. Und viele im Land haben den ewigen Zank auf Regierungsebene satt.

„Dauerstreit schadet nicht nur den Akteuren, sondern auch der Demokratie“, erklärte denn auch Schwesig. Auch diese Erkenntnis sorgt offenbar dafür, dass sich die Sozialdemokraten und die Union gerade kooperativ zeigen und das Kriegsbeil zumindest vorerst vergraben lassen.

Überraschend ist, wie schnell sich Union und SPD auf eine erste Sondierungsrunde verständigt hatten. Als Donnerstagabend öffentlich bekannt wurde, dass am Freitagmorgen erstmals miteinander gesprochen werde, waren viele Christdemokraten mit besten Drähten zum Parteichef und mutmaßlich kommenden Kanzler Merz überrascht. Der hat es aus mehreren Gründen sehr eilig, die Sondierungen abzuschließen, Koalitionsverhandlungen durchzuführen und eine Regierungsmannschaft zu präsentieren.

Ein Umstand hilft Merz dabei. Die SPD-Führung um Lars Klingbeil und Saskia Esken hat zwar angekündigt, aus der historischen Wahlniederlage Konsequenzen zu ziehen. Bislang bestehen die aber darin, dass beide im Amt bleiben, Klingbeil zusätzlich auf den Posten des Fraktionschefs befördert wurde und lauter altbekannte und lange in ihrem Amt befindliche Genossen in die Sondierungsdelegation berufen wurden – Wahldebakel hin oder her. Das sieht alles sehr nach Kontinuität aus.

Mit dieser SPD kann Merz verhandeln, vielleicht schätzt man sich gegenseitig nur bedingt – aber man kennt sich. Und es gibt feste Strukturen, eine gewisse Verlässlichkeit.

Was wäre, wenn in der SPD nach dem Wahldebakel interne Kämpfe ausbrächen, die Genossen sich untereinander aufrieben und Grundsatzdebatten starten würden? Was wäre, wenn eine Stimmung gegen die Union entstünde, wie sie der damalige Juso-Chef Kevin Kühnert vor Jahren gegen eine Beteiligung an der GroKo entfacht hatte? Merz braucht die SPD – einen anderen Koalitionspartner hat er nicht. Daher will er schnell Fakten für ein Regierungsbündnis schaffen.

Schnell soll es außerdem gehen, um die Ansprüche aus den Reihen der beteiligten Parteien und von Interessenvertretern abzuwehren. Kaum war bekannt geworden, dass eine erste Sondierung stattfindet, forderte schon der Marburger Bund, die Lobby der Ärzte, ein „zukunftsfestes Gesundheitssystem“. Aus den Reihen der CDU riefen die Ministerpräsidenten von Sachsen und Thüringen, Michael Kretschmer und Mario Voigt, dazu auf, Ostdeutschland in einer künftigen Bundesregierung stärker zu berücksichtigen. Parallel dazu kündigte Nordrhein-Westfalens Innenminister Herbert Reul (CDU) an, einen „umfassenden Sicherheitskatalog“ in die Sondierungsgespräche einspeisen zu wollen.

Je länger Sondierungen und Koalitionsverhandlungen dauern, desto länger droht die Liste der Forderungen und Wünsche zu werden. Und dann entsteht genau das, was Merz und CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann unbedingt vermeiden wollen: ein Telefonbuch-dicker Koalitionsvertrag, der es allen recht machen soll.

Den CDU-Strategen gilt der 140 Seiten umfassende Koalitionsvertrag der Ampel mit seiner Detailtiefe und Regelungswut als einer der Gründe für deren Scheitern. Das Dreierbündnis sei, gebunden an das Vertragswerk, schließlich nicht mehr in der Lage gewesen, die vielen heraufziehenden Krisen zu meistern. Deshalb wollen Merz und Linnemann einen überschaubaren Vertrag, der nur die wichtigsten Punkte regelt und viele Details dem jeweiligen Koalitionspartner in der Hoheit der von ihm geführten Ministerien überlässt.

Linnemann will das bisherige Koalitionssystem sogar am liebsten ganz durchbrechen und Verträge mit dem Regierungspartner nur noch für ein Jahr abschließen, um dann vor dem Hintergrund der jeweiligen Situation samt ihren Herausforderungen neue Vereinbarungen zu treffen. Ob sich die SPD, die vertragliche Festlegungen und das Abarbeiten von Vereinbarungen schätzt, darauf einlässt: fraglich.

„Bislang keinen Zugriff auf Daten aus Finanzministerium“

Zuletzt ist Merz aufgrund der Finanzlage massiv unter Zeitdruck. Bei dem ersten Sondierungstreffen habe der geschäftsführende Bundesfinanzminister Jörg Kukies (SPD) der Runde zunächst einen Überblick über die Haushaltslage gegeben, erklärten die drei Generalsekretäre Carsten Linnemann (CDU), Martin Huber (CSU) und Matthias Miersch (SPD) in Anschluss. „Die Herausforderungen werden nun Gegenstand der kommenden Gespräche sein“, hieß es. Man habe keinen Überblick über die Finanzlage des Bundes, erklärten Vertreter der Union. „Wir hatten bislang keinen Zugriff auf die Daten aus dem Finanzministerium.“

Ob und wie gut die kommende Bundesregierung funktioniert, hängt maßgeblich vom finanziellen Spielraum ab. Denn der Geldbedarf ist riesig. Die Bundeswehr muss ertüchtigt, der Verfall der Infrastruktur aufgehalten werden. Das kann man versuchen, aus den regulären Haushaltsmitteln zu finanzieren – aber das wird nicht reichen. Also ist nun ein Sondervermögen im Gespräch, ein kreditfinanzierter Topf.

Um das auflegen zu können, müsste das Grundgesetz geändert werden, genauer gesagt: Artikel 87 a, Absatz 1a. Es müsste nur ein Halbsatz neu formuliert werden, doch dafür ist eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Bundestag nötig. Die haben Union, SPD und Grüne nach den Wahlerfolgen von AfD und Linken im neuen Bundestag nicht mehr. Wenn dieser zusammentritt – spätestens muss er das am 25. März –, kann das Grundgesetz nur noch mit Zustimmung von AfD oder der Linken geändert werden. Und dass eine der beiden Parteien der Bundeswehr mehr Finanzmittel zur Verfügung stellen will, ist unwahrscheinlich.

Merz will daher rasch Pflöcke für die kommende Bundesregierung einschlagen und in Gesprächen mit der SPD dafür sorgen, dass noch mit dem alten Bundestag ein solches Sondervermögen beschlossen wird. Dafür müssten auch die Grünen ins Boot geholt werden. Der Vorgang hat nicht unmittelbar etwas mit den Sondierungen zu tun, ist aber ein wichtiger Test, ob Union und SPD bei einem für ihre geplante Koalition entscheidenden Punkt schon im Vorfeld geräuschlos zusammenarbeiten und Mehrheiten organisieren können.

Gelingt das nicht, scheitert das Sondervermögen. Dann müsste ein Kanzler Merz nicht nur mit klammen Kassen regieren. Sondern es wäre fraglich, ob eine schwarz-rote Koalition überhaupt gedeihlich zusammenarbeiten können wird.

Nikolaus Doll berichtet seit mehreren Jahren für WELT über die Unionsparteien CDU und CSU.