„Akzeptiere niemals ein Nein“ – warum das Vergewaltigungsspiel „No Mercy“ alle angeht
In ihrem Podcast „News Core: Politik bis Popkultur“ unterhalten sich Imke Rabiega und Julian Theilen über Trends und aktuelle Debatten. Das folgende Transkript ist eine gekürzte Essenz der Podcastfolge „Booktok und das Vergewaltigungsspiel“.
Julian: Es geht heute um das Computerspiel „No Mercy“, das auf der Online-Plattform Steam veröffentlicht wurde und nach sehr scharfer Kritik wieder verbannt wurde. Das Spiel verstößt zwar offiziell nicht gegen die Richtlinien von Steam, aber es überschreitet moralische Grenzen.
Imke: Im Spiel geht es darum, dass man als männlicher Hauptcharakter Frauen, und zwar auch Frauen aus der eigenen Familie, zum Beispiel die eigene Tante, vergewaltigen soll und dafür kriegt man Punkte. In der Spielbeschreibung steht, dass es „unvermeidbaren, uneinvernehmlichen“ Sex in dem Spiel gibt. Außerdem steht drin, dass in diesem Spiel jeder zum schlimmsten Albtraum der Frau werden und bis Spielende niemals ein Nein akzeptieren solle.
Julian: Es ist frauenfeindlich, kann man jetzt so ganz banal mal sagen und trainiert sogar noch so misogynes Verhalten, dafür wird auch Steam kritisiert.
Imke: By the way: Wer auf Steam ein Spiel spielt, kann das tun, wenn er 13 Jahre alt ist und dann auch relativ barrierefrei auf FSK 18 Inhalte zugreifen.
Julian: Also ein 13-Jähriger könnte jetzt ganz easy Frauen vergewaltigen.
Imke: Die Entwickler, also Zerat Games, haben sich dann, nachdem das Spiel rauskam und der Aufschrei in den sozialen Medien riesengroß war, relativ schnell einsichtig gezeigt und das Spiel weltweit blockiert. Die Leute, die es aber bereits gekauft hatten, können weiterhin drauf zugreifen.
Julian: Man müsste natürlich sagen, dass „No Mercy“ nicht das erste menschenfeindliche Spiel ist. Also die ganzen Ballerspiele sind auch menschenfeindlich. „Counter Strike“ hat mein Vater mir damals zum Beispiel verboten. Aber es gab dann immer so heimliche LAN-Partys. Ein anderes Beispiel ist „GTA“, wo du Menschen einfach so über den Haufen fahren kannst und mit Prostituierten schläfst.
Imke: Ja, allerdings ist es doch in „GTA“ schon einvernehmlicher Sex mit den Prostituierten. Also klar, manchmal klaut man ihnen danach das Geld wieder, aber theoretisch ist es keine Vergewaltigung, die da stimuliert wird?
Julian: Stimmt, nur einmal, da erinnere ich mich, da hat einer das Spiel gehackt, das war 2014 glaube ich, und hat dann virtuell Mitspieler vergewaltigt, das galt als total krass und wurde auch viel besprochen in den Medien.
Imke: Es gibt auch sonst immer wieder populäre Versuche, Vergewaltigungsspiele zu veröffentlichen. „Rape Day“ 2019 zum Beispiel. Trotzdem sagen unter anderem Organisationen wie Women in Games, dass „No Mercy“ ein noch extremeres Beispiel ist. Erstens, weil natürlich auch die grafische Darstellung immer besser wird. Zweitens, weil das Spiel in eine Zeit hinein veröffentlicht wird, die auch in gewisser Weise extrem ist, in der sich frauenfeindliches Denken im Netz über die Mannosphäre-Bewegung und Influencer wie Andrew Tate ausbreitet und wir Incel- und Red Pill-Communities beim Wachsen zusehen.
Julian: Ja, das stimmt, aber wie es ja natürlicherweise bei verbotenen Dingen ist, erregt es irgendwie auch Interesse und erzeugt Neugier. Und nachdem Steam es dann wieder heruntergenommen hat, entstand auf Social Media innerhalb kürzester Zeit ein Mythos um das Spiel. Alle wollten wissen, wie es aussah und versuchten, es irgendwie illegal herunterzuladen. Pure Sensationslust. Es lässt die Debatte nicht abklingen, ob das Spiel verboten gehört oder nicht, weil das Interesse anscheinend nach wie vor groß ist. Natürlich sind vor allem Männer dafür und Frauen dagegen. Obwohl manche selbst hart gesottene Gamer sich gerade dagegen äußern und sagen, sie schämen sich dafür, Gamer zu sein in diesen Tagen.
Imke: Als wir das erste Mal darüber gelesen haben, waren wir ja eigentlich erst mal beide so: ja na klar, das ist absolut menschenverachtender Abschaum, wie kann so was überhaupt entwickelt werden? Dann haben wir uns die Erklärung des Entwicklers durchgelesen, der das Spiel damit begründet, dass Gewalt in Videospielen nicht nachgewiesen zu mehr Gewalt in der Realität führe, er vergleicht es mit „klassischen Ballerspielen“ und er geht dann sogar noch einen Schritt weiter und behauptet, dass Menschen ihre Aggression, die sie in Videospielen herauslassen, nicht in den realen Raum tragen würden und er dementsprechend etwas Gutes tun würde und beruft sich am Ende auf die kreative Freiheit. Und auf diese Argumentationslogik stützen sich jetzt natürlich die Supporter des Spiels auch online.
Julian: Ja, wir haben uns auch beim Lesen in die Augen geschaut und gesagt, ja, so einen kleinen Punkt hat er schon, vor allem, dass man Fiktion und Realität nie vermischen sollte, das ist, glaube ich, ein wichtiger Punkt, und es stimmt ja aber trotzdem, dass wir auch Ballerspiele mittlerweile gesellschaftlich akzeptiert haben. Trotzdem schreit alles in einem, dass das nicht richtig sein kann und deshalb haben wir noch mal über Argumente nachgedacht und das ausverhandelt.
Imke: Anfangen kann man damit, dass die Begründung, worauf sich die Debatte im Internet stützt, zwei unterschiedliche Dimensionen hat, die vermischt werden. Einmal geht es darum, was laut den selbst auferlegten Richtlinien der Plattform Steam erlaubt und was aus moralischer Sicht einer Gesellschaft vielleicht richtig und verantwortungsvoll ist. Ich habe das Gefühl, dass Plattformen wie Steam ihren Einfluss, den sie auf die User haben, total herunterspielen und dementsprechend den Einfluss, den Sie auf junge Leute haben. Weil es nicht wirtschaftlich wäre, das anzuerkennen. Sie verstecken sich hinter der Freiheit des Spiels und genauso machen es die Entwickler des Spiels eben auch. Sie sehen sich nicht in der Verantwortung, ihre User aufzuklären. Gleichzeitig ist die Realität aber ja, dass Kinder meistens im Unwissen ihrer Eltern Inhalte für Erwachsene anschauen und dann eben auch spielen können und dann niemanden mehr haben, der sich darum kümmert.
Julian: Eine Sache noch, die ich nicht ganz unwichtig finde, im Vergleich mit „Counter Strike“ oder „GTA“, da werden ja auch andere Themen des Lebens verhandelt. Es muss eine Strategie zurechtgelegt werden. Es braucht Überzeugungskraft. Es braucht viel Handlungsschnelligkeit. Und in „No Mercy“ brauchst du das alles nicht. Du kannst einfach vergewaltigen, ohne irgendwas dafür zu tun. Also nicht, dass man etwas dafür tun sollte, um zu vergewaltigen, aber ich glaube, du checkst meinen Punkt. Man muss überhaupt in gar keiner Strategiewelt bestehen.
Imke: Ja, und das stellt dann halt auch das Thema künstlerischen Freiheit infrage, weil was genau bleibt dann übrig, wenn alle weiteren Dimensionen des Spiels wegfallen und es nur um diesen puren Akt der Frauenfeindlichkeit geht? Nicht mehr als eben das. Und ich glaube, wir leben in einer Zeit, in der wir irgendwie alle wissen, dass das eine zunehmend gesellschaftlich relevante und gefährliche Subkultur ist, die im Internet entsteht, in der Mannosphäre. Dass diese Unternehmen damit bewusst Profit machen, ist eine ökonomische Entscheidung, aber das ist keine kreative Freiheit.
Zu sagen, dass Gewalt in Ballerspielen wie „Counter Strike“ nicht zu mehr Gewalt in der Realität führt – das kann man noch nicht so richtig belegen. Aber dass junge Menschen sich online radikalisieren, das ist etwas anderes und spätestens seit der Serie „Adolescence“ in aller Munde. Und ich glaube, ehrlich gesagt, dafür brauchen wir jetzt auch keine Studien. Da reicht es einfach, wenn wir den gesunden Menschenverstand anschalten. Natürlich beeinflusst mich, was ich mir stundenlang im Internet anschaue und die Welt, in die ich mich begebe und die Werte, mit denen ich umgeben bin. Ob ich das will oder nicht, das ist total menschlich.
Julian: Ich glaube schon, dass die schnelle Abneigung gegenüber dem Spiel auch für ein Rechtsbewusstsein spricht, was es mittlerweile auch in der Zivilgesellschaft und im Gaming-Bereich gibt. Es ist auch eine weitere Warnung, dass Eltern und auch Politik da strategisch heranmüssen.
Imke: Etwas Gutes hat das Spiel ja trotzdem gezeigt: wie schnell und wie viel kollektives Empören bringen kann. Das Spiel war immerhin nach nur 24 Stunden wieder offline.