Polnisches Institut Berlin: Kultureller Aufbruch nach dem Ende der PiS-Herrschaft

Zwei Schraubenschlüssel befinden sich gegenüber an einer weißen Wand. Sie sind gebogen, wie sie von Installateuren und Mechanikern verwendet werden, die an schwer zugängliche Schrauben und Muttern herankommen müssen.

Im White Cube der Galerie des Polnischen Instituts gleich gegenüber der Berliner Museumsinsel wirken sie wie massive metallene Schlangen. Archaische Überbleibsel einer längst vergangenen Industrie. Der in Belarus geborene und in Polen lebende Künstler Raman Tratsiuk hat Werkzeuge wie diese gesammelt.

Rostige Sägen und Sicheln

Neben den Schraubenschlüsseln stellt er Sägeblätter und Hackmesser, Hammerköpfe und Sicheln aus. Teils stapelt er sie zu großen Skulpturen auf oder er ordnet sie konfrontativ an, wie bei den Schraubenschlüsseln. Zwischen diesen lässt er in regelmäßigen Abständen elektrische Funken überspringen.

Handelt es sich um Signale aus der Vergangenheit, eine Art Materialisierung derer, die die Geräte einst benutzt haben? Hat sich aus dem langen Nichtgebrauch, der sich an der Rostschicht gut ablesen lässt, etwas aufgestaut, das sich nun entladen muss?

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Ausstellung „Unsichtbare Arbeit“ mit einer Skulptur von Raman Tratsiuk.

© Lisa Vlasenko

Die Antwort bleibt offen. Das ist ganz im Sinne von Katarzyna Sitko, der seit letztem April amtierenden Leiterin des Polnischen Instituts. Sie hat gemeinsam mit der Kuratorin Marta Smolinska die sechsteilige Ausstellungsserie „Was nehmen wir mit?“ konzipiert, zu der auch Tratsiuks Arbeitsgeräteinstallationen gehören.

„Unsichtbare Arbeit“ heißt dieser dritte Teil der Serie. Und natürlich weisen die Hämmer, Sägen und Sicheln auf die eher weniger sichtbare, aber doch relevante Tätigkeit polnischer Handwerker und Landarbeiter jederlei Geschlechts hin, die in Deutschland Häuser sanieren, Autos reparieren und Spargel stechen. Die Ausstellungsserie will vergangene Umbrüche und neue Unsicherheiten in Europa in den Blick nehmen.

Sichtbarkeit der Arbeit

„Wir haben uns für sechs unterschiedliche Aspekte entschieden, weil wir sie für universell halten. Wir denken auch, dass wir die Verantwortung haben, auf das zu reagieren, was um uns herum geschieht“, sagt Sitko und betont den europäischen Kontext. „Wenn wir um uns schauen, in Polen, in Deutschland, in Europa, sehen wir einen Wandel vonstattengehen, der vielleicht ebenso groß ist wie der Wandel 1989, der vor allem Osteuropa verändert hat. Wir wissen aber nicht, wohin uns dieser Wandel führt. Kunst kann uns helfen, Diskussionen zu eröffnen, auf unterschiedliche Stimmen zu hören und Sorgen auszudrücken.“

Zur Person

Katarzyna Sitko ist stellvertretende Leiterin des Polnischen Instituts in Berlin.

© Karolina Golimowska

Die sechs Themen der Ausstellungsreihe entfalten ein weites Panorama. Den Auftakt bildete Ende 2024 eine Schau, die sich mit gesellschaftlichen Wendepunkten befasste. Ein zentraler Bezugspunkt war dabei die polnische Parlamentswahl von 2023, die das Ende der nationalistischen und rechtspopulistischen PiS-Regierung markierte. Andererseits sollte die Erinnerung an die Umbrüche 1989 aktiviert werden.

Wendepunkt Geburt

In einer künstlerischen Intervention fragten die Künstler Anne Peschken und Marek Pisarsky Menschen nach Wendepunkten im eigenen Leben. Viele nannten, so Sitko, gerade nicht die großen gesellschaftlichen Umwälzungen, sondern persönliche Ereignisse: „Diese waren mit der Familie verbunden, mit Menschen, die man verloren hat oder dem Wechsel des Arbeitsplatzes. Auch die Geburt eines Kindes wurde oft genannt. Viele Antworten waren sehr philosophisch. Einer meiner Favoriten ist die Antwort eines Kindes, das die eigene Geburt als einen Wendepunkt nannte.“

Für die aktuelle Ausstellung steuert die kurdisch-türkische, mittlerweile in Berlin lebende Videokünstlerin Pınar Öğrenci einen Beitrag über die Lebensumstände türkischer Gastarbeiter der ersten und zweiten Generation bei. Verblüfft stellte sie bei ihren Recherchen fest, dass in den Fotoarchiven zur Bergbauindustrie im Ruhrgebiet Aufnahmen der Gastarbeiter erst in den frühen 1980er Jahren auftauchten, obwohl die ersten Anwerbeabkommen bereits 1955 geschlossen wurden.

Die Arbeit unter Tage war demnach doppelt unsichtbar: Einerseits verborgen in den Stollen und Schächten, andererseits nicht einmal eingefangen von Kameras, die nur auf die deutschen Kollegen gerichtet waren. In ihrer Serie „Glück auf in Deutschland“ lässt sie Silhouetten von Arbeitern über den Schloten des Ruhrgebiets schweben. In einem Video nimmt sie die Care-Arbeit der Bergarbeiter-Ehefrauen in den Blick, ein weiterer Bereich des „unsichtbaren Arbeitens“.

Die Ausstellung

Bis 6. Juni, „Unsichtbare Arbeit“, Polnisches Institut, Burgstr. 27, Di bis Do 13–18 Uhr, Fr bis 17 Uhr.

Die bisher gezeigte Kunst unterstreicht, dass Sitko, die zuvor am Polnischen Institut in Budapest tätig war, den Ansatz verfolgt, polnische Kunst im breiteren Kontext der europäischen Kultur zu zeigen. „Natürlich wollen wir polnische Inhalte in Berlin befördern, aber eben nicht als etwas Exotisches, sondern mit dem Wissen, dass wir uns mit ähnlichen Problemen auseinandersetzen und dass wir integraler Bestandteil der europäischen Kultur sind, die wir auch mitgestalten.“

Die folgenden drei Ausstellungen der Serie beschäftigen sich mit dem Widerstand von Frauen gegen repressive Systeme, mit positiven Ökofiktionen anhand von Pilzen – Pilze sammeln ist ja so etwas wie polnischer Nationalsport – sowie mit dem Fluss Oder als nichtmenschlichem Akteur, der Polen und Deutschland verbinden und trennen kann.

Die Galerie des Polnischen Instituts möchte Sitko perspektivisch als zwar kleinen, aber lebhaften Teil der Berliner Kunstszene etablieren. Darüberhinaus strebt sie stärkere Beteiligung polnischer Positionen in hiesigen Formaten an.

Das Thema Unsicherheiten ist nicht nur ein kuratorischer Schwerpunkt, sondern Realität auch für das Polnische Institut. Sitko fungiert nominell als stellvertretende Leiterin. Im Sommer soll die Chefposition im Zuge größerer Umstrukturierungen innerhalb der zwei Dutzend polnischen Auslandsinstitute neu besetzt werden. Bleibt zu hoffen, dass das gegenwärtige Aufblühen des Berliner Standorts dann trotzdem weitergeht.