Von ihren Pupillen hypnotisiert
Frei nach Thomas Mann gehört auch Eduard Brünhofer in Daniel
Glattauers Roman In einem Zug zu den Schriftstellern, denen das Schreiben
schwerer fällt als allen anderen Menschen. Zumindest hat der Autor berühmter
Liebesromane schon lange keinen Liebesroman mehr geschrieben. Wie viele große
Autoren – Hemingway, Fitzgerald, Rowling – leidet auch er unter einer
Schreibblockade. Der Verlag hat ihm eine Gnadenfrist gewährt, doch auch die ist
längst abgelaufen. Der endgültige Abgabetermin rückt bedrohlich näher: vier
Wochen und drei Tage.
Wie passend also, dass er ausgerechnet jetzt, auf dem Weg von Wien nach München, wo er sich seinem Verleger stellen muss, im Zug einer Frau "eher frühen mittleren Alters" schräg gegenübersitzt – einer Physiotherapeutin und Psychotherapeutin ("Spezialgebiet: Mensch"), die ihn über vier Stunden hinweg in ein Gespräch über die Liebe verstrickt. Anfangs sträubt er sich, dann gibt er erschöpft nach: "Sie schaut mir lieber in die Augen, dabei verschwimmen ihre Pupillen und ziehen meine mit ins Tiefe – das hat schon leichten Hypnosecharakter."
Was folgt, ist ein heiteres Kammerspiel. Die beiden freunden sich an, tauschen Vornamen aus, versorgen sich im Speisewagen mit Prickelndem und philosophieren über die Liebe. "'Was befähigt einen Autor, über die Liebe zu schreiben?', fragt sie. 'Ihre Frage ist klüger als jede mögliche Antwort darauf', erwidere ich." Der Zug rattert über die Schienen, und der sonst eher schweigsame Eduard gerät immer mehr in die Bedrängnis, Catrin, der Unbekannten, vor der er sich eben noch retten wollte, sein gesamtes Liebesleben mit seiner Frau Regina offenzulegen – auch ihren Sex.
Wie schon bei seinem Bestsellerdebüt Gut gegen Nordwind (2006) entfaltet sich auch die Handlung von In einem Zug in rasantem Tempo. Glattauers Dialoge besitzen eine fast choreografische Leichtigkeit, die immer wieder ins Slapstickhafte kippt – besonders dann, wenn Eduards innerer Monolog die Szenen parallel kommentiert. Etwa als Catrin ihn fragt, was seine Protagonisten empfinden, wenn sie sich verlieben – und genau in diesem Moment der Schaffner vor ihnen steht. Fahrkartenkontrolle: "Im nächsten Leben möchte ich Schaffner sein. Man muss kaum ein Wort reden, und alle wissen, worum es geht und was zu tun ist."
Das ist Volkstheater im literarisch besten Sinne. Und vielleicht erklärt genau das, warum In einem Zug schon wieder ganz oben auf den Bestsellerlisten steht. Wie bei allen Romanen über Künstler im Allgemeinen und Schriftsteller im Besonderen droht die Gefahr, schwere Klischees zu produzieren. Und tatsächlich wartet, als der Zug schließlich in München einfährt, eine Pointe, deretwegen man auf dieser vergnüglichen Reise dann doch schon lieber in Rosenheim ausgestiegen wäre.
Daniel Glattauer: In einem Zug. Roman; Dumont, Köln 2025; 208 Seiten, 23,– €, als E-Book 18,99 €