Diese Serie zeigt, was auf uns alle zukommt

Der Tag, an dem die Welt, wie wir sie kennen, untergeht, könnte ein schöner Tag sein. Die Sonne scheint von einem blauen Himmel. Man könnte sich zum ersten Mal verlieben, planen, ein Haus zu bauen, Kinder zu bekommen. Alles könnte so sein, wie es vielleicht selbst im zweitglücklichsten Land der Erde nie war.

Wir sind in Dänemark. Das ist eigentlich kein ganz idealer Ort für eine Serie über die anstehende Klimakatastrophe – Dänemark liegt im Durchschnitt 24 Meter über dem Meeresspiegel, der Møllehøj, Dänemarks höchste Erhebung, ist immerhin 170,86 Meter hoch –, aber „Families Like Ours“ ist auch eigentlich keine Serie über die anstehende Klimakatastrophe. Der Siebenteiler des dänischen Dogma-Mitbegründers und Oscar-Preisträgers Thomas Vinterberg ist ein Gedankenexperiment. Eine Versuchsanordnung.

Dänemark ist in „Families Like Ours“ nur ein Stellvertreter für eine Welt, die sich zivilisiert glaubt, aber in Vinterbergs erster Serie an den Rand ihrer Resilienz gebracht wird. Vinterberg betreibt Klimafolgenforschung am Beispiel einer durchschnittlich verzweigten und (aus Gründen der gesellschaftlichen Fallhöhe) überdurchschnittlich gut situierten Patchwork-Familie. Wer allerdings am Ende selbst in Garmisch-Partenkirchen noch meint, das ginge ihn alles nichts an, dem ist nicht mehr zu helfen.

Die Lage ist die: Der Meeresspiegel steigt. Die Niederlande haben schon aufgegeben. Nicht, weil sie unter Wasser stehen, das auch. Sondern vor allem, weil sie sich mit dem Dämmebauen ruiniert haben. Millionen Niederländer sind vor den Fluten geflohen – nach Deutschland, nach Polen, in die höher gelegenen skandinavischen Länder.

In Dänemark lässt sich das Grundwasser inzwischen nicht mehr kontrollieren. Um der Bevölkerung – die Dänen sind ein beneidenswertes Volk und „Families Like Ours“ ist neben vielem anderen eine Hymne auf Vinterbergs Heimatland – noch eine Chance auf ein halbwegs glückliches Leben im Exil zu geben, bevor überall in der Welt Zustrombegrenzungsgesetze in Kraft treten, beschließt die Regierung in Kopenhagen, ihr eigenes Land in Windeseile aufzugeben.

Sechs Millionen Vertriebene

Dänemark soll zu einem menschenleeren Industriegebiet voller Windräder, Sonnenkollektoren und Serverparks werden. Die gut sechs Millionen Dänen müssen ihre Heimat nach einem sozial gewissenhaft abgefederten Mehrstufenplan (Reiche zuerst und wo immer sie hinwollen, Arme zuletzt und vielleicht nach Rumänien) verlassen. Sollte es jemals zu einer Klimakatastrophe kommen, möchte man – jedenfalls nach Durchsicht von „Families Like Ours“, und wir deuteten es schon an – trotz allem im Besitz eines dänischen Passes sein.

Der Familie, die unser aller Familie sein könnte, geht es gut. Jacob ist Architekt, Adalina Psychologin, selbst Fanny, die Wissenschaftsjournalistin war, jetzt aber wegen einer Schreibblockade arbeitsunfähig ist, muss nicht in einem Trailer hausen. Jacob und Adalina haben einen kleinen Sohn. Laura, Jacobs und Fannys Tochter, macht gerade Abitur. Jacobs Schwager arbeitet im Außenministerium und wohnt mit seinem Mann auf einem Schloss mit sorgfältig geharktem Kies in der Auffahrt und Blick in eine herrlich hyggelige Landschaft.

Diesem durchschnittlich fragilen Gemeinwesen, das uns Vinterberg in aller Ruhe und Tiefe allmählich vorstellt, folgen wir nun in und durch den Exodus. Das hätte maximal schiefgehen und nach billiger Propaganda aussehen können – Gutmensch führt mal vor, wie es wäre, wenn wir und nicht die Syrer, Afghanen, Palästinenser vertrieben, wenn sich die Flüchtlingsströme umkehren würden.

Dass es nicht schiefgeht, liegt daran, dass Vinterberg ganz viel nicht tut, was Klimakatastrophenverfilmer eigentlich immer tun. Und daran, dass Vinterberg ein zutiefst humaner Menschenerforscher ist, dem es um Politik, selbst um Klimapolitik gar nicht geht. Vinterberg malt kein Plakat, er entwirft ein existenzielles Drama, in dem wir uns potenziell alle spiegeln. Zumindest alle, die öffentlich-rechtliches Fernsehen schauen und sich zwei bis vier Streamingverträge leisten können.

Die Katastrophe, die steigenden Fluten, die Bedrohung und selbst die Aufstände an den Banken und bei den Anti-Exit-Demonstrationen erzählt Vinterberg überwiegend in Radio- und Fernsehnachrichten. Es gibt fast gar keine Desaster-Szenen, und wenn es sie gibt, sehen sie nicht im Entferntesten nach Roland Emmerich aus. Es wird auch kein Cello gequält, um die Lage auch akustisch hochzudramatisieren. „Families Like Ours“ ist der wahrscheinlich zivilisierteste, ganz sicherlich aber hyggeligste aller Katastrophenfilme. Vinterberg geht es nicht um ein Elendsgemälde, sondern nachgerade ums Gegenteil.

Er schickt seine Figuren, die er nicht schont – sie verlieren allmählich alles, werden auseinandergerissen, geraten unter Schlepper, werden bei Pushbacks in Polen ins Koma geprügelt –, nicht, um sich an ihrem Elend zu weiden, durch das Labyrinth eines auseinanderbrechenden Europa, sondern um existenzielle Fragen zu stellen. Was ist das Kulturerbe unserer inneren Welt, das wir mitnehmen? Was ist unsere Heimat, wenn wir keine mehr haben?

Und vor allem und das ist der eigentliche Schlag, den Vinterberg allen faschistischen Schwarzmalern dieser Welt versetzt: Ist es notwendig so, dass der Mensch des Menschen Wolf werden muss, dass Katastrophen das Schlechteste in uns wachrufen, ist es nicht um die humanen Widerstandskräfte unserer (christlichen) Werte vielleicht viel besser bestellt, als wir es uns gerade einreden lassen? Können wir uns nicht vielleicht doch mehr auf uns und unsere Menschlichkeit verlassen? Wie wird sich wohl die Jugend schlagen, die gerade erst dabei war, sich einen Platz in dieser Scheiß-Welt zu erobern?

Immer wieder sucht Vinterberg Antworten in den Gesichtern seiner Leute, die er aufsucht wie Inseln im Irrsinn. Er liebt Amalia und Laura und Fanny, man kann die Caritas Vinterbergs in jeder Sekunde spüren – auch das macht den Sog dieser Serie aus. Und der Cast – eine Familie der großartigsten dänischen Schauspieler um Nikolaj Lie Kaas (Jacob) und vor allem Amaryllis August (Tochter des Filmregisseurs Bille August) – gibt es ihm mit einer wunderbaren Wärme und Intensität zurück.

Das geht alles so gut und so unkitschig zu in „Families Like Ours“, dass die wunderbare Paprika Steen, ein Urgestein des Dogma-Films, ein Gebet sagen kann, ohne dass es – was sonst bei Gebeten in Filmen ja gern geschieht – einem mulmig wird. Das geschieht ziemlich genau in der Mitte des Siebenteilers.

Auf einem Kreuzfahrtschiff, das Fannys erste Station auf dem Weg in eine Flüchtlingsunterkunft irgendwo in Rumänien wird. „Wir bitten dich“, sagt sie, „lass uns offen bleiben für Wunder, damit wir nicht erstarren in der Begrenztheit der Vernunft und nicht mehr zu glauben wagen, was wir nicht begreifen. Und nicht mehr auf das zu hoffen wagen, was wir nicht begründen können. Und nicht mehr zu lieben wagen, was wir nicht verstehen. Gib uns Glaube, Hoffnung und Liebe.“

„Families Like Ours“ fährt einem – darin ist Vinterberg sowieso ein Meister – in Mark und Bein. Und ist, was gerade besonders gebraucht wird, ein privates Licht am weltpolitischen Horizont. Getarnt als Katastrophenfilm.

„Families Like Ours“ steht in der Mediathek der ARD.