„Die Situation ist blockiert, es gibt keine Hoffnung“

Es gibt diese Abende, an denen sich alles verdichtet. An denen klar wird, dass nichts selbstverständlich ist. Schon gar nicht die Freiheit, die sogenannten Verhältnisse zu kommentieren, vielleicht auch nur zu benennen oder zu bedichten.

Der Drang nach dieser Freiheit hat den Dissidenten Liao Yiwu in China seinerzeit vier Jahre ins Gefängnis gebracht und die Exilantin und Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller in Konflikt mit der Securitate im Ceauscescu-Rumänien. Der Drang nach Freiheit hat die Friedensnobelpreisträgerin Irina Scherbakowa, die aufklärerische Historikerin von der Organisation Memorial, zu einer verdächtigen Person in Putins Russland werden lassen und ins Exil gezwungen und sie hat den Schriftsteller und Prix-Goncourt-Preisträger Kamel Daoud zum Gegenstand finsterer Anfeindungen aus Algerien werden lassen.

Sie alle sind an diesem Abend da, um Solidarität mit Boualem Sansal zu zeigen. Weitere Mitwirkende sind der Schriftsteller Daniel Kehlmann, die Kulturwissenschaftlerin Aleida Assmann, der Soziologie Wolf Lepenies und der Publizist Thierry Chervel. Außerdem die deutsche Verlegerin Sansals, Katharina Eleonore Meyer, und Martin Schult vom Friedenspreis des Deutschen Buchhandels, den Sansal 2011 erhalten hatte. Ihrer aller Solidarität gilt Boualem Sansal. Der algerisch-französische Schriftsteller war am 16. November 2024 bei der Einreise am Flughafen Algier festgenommen worden, der Grund des mittlerweile 111-tägigen Freiheitsentzugs: Sansal habe sich angeblich abfällig zur Souveränität Algeriens geäußert. Nichts anderes als mit Worten geäußert.

Daniel Kehlmann berichtete, wie er vor wenigen Tagen – gemeinsam mit den beiden Sprechern der Schriftstellervereinigung PEN Berlin, Thea Dorn und Deniz Yücel, eine kleine, „zivilisierte“ Protestnote am Algerienstand der Internationalen Tourismus Börse (ITB) veranstaltet habe. Eine Diktatur sei kein Urlaubsland, so Kehlmann.

Eine zweistündige Solidaritätsveranstaltung, mit der Intellektuelle sich im Dienst einer guten Sache wähnen, könnte schnell betulich werden oder unfreiwillig das nur gut Gemeinte ausstellen. Doch der Abend war klug komponiert, ermöglichte mit Lesungen und Gesprächen unterschiedliche Einblicke in das Werk Sansals. Esoterisch, nein: energetisch, wurde es nur einmal, als Liao Yiwu mit seiner Klangschale zu einer faszinierenden akustischen Performance anhob.

Ernüchterndes ergab das von Thierry Chervel geführte Gespräch mit dem aus Paris eingeladenen Schriftsteller Kamel Daoud. Sansals algerischer Landsmann, seinerseits Opfer von Diffamierungskampagnen des Regimes, berichtete, dass er nichts berichten dürfe, was die inoffiziellen Informationskanäle zum Versiegen bringe. Der über 80-jährige Sansal sei krebskrank und zeitweilig in einen Hungerstreik getreten, seine Frau dürfe ihn besuchen, doch sein französischer Anwalt erhalte kein Visum – wohl auch, weil er Jude sei. „Die Situation ist völlig blockiert, es gibt keine Hoffnung“, ließ Daoud das Berliner Publikum wissen. Die Islamisten in Algerien kontrollierten inzwischen mehr und mehr auch den Kultursektor, doch wer das feststelle oder kritisiere, werde postwendend als islamophob gebrandmarkt, so Daoud.

Zwischen Frankreich und Algerien

Sansal sei leider zwischen die Fronten Frankreichs und seiner ehemaligen Kolonie Algerien geraten, er habe es gewagt, an algerische Tabuthemen wie den Bürgerkrieg der 1990er-Jahre zu rühren. Was jetzt nur noch helfen könne, sei: die Verhaftung Sansals international zum Thema zu machen, sie aus der Sackgasse eines französisch-algerischen Konflikts zu befreien, so Daoud.

Sansal im öffentlichen Bewusstsein zu halten, dazu tragen nicht zuletzt seine Bücher bei, die auf Deutsch im Merlin Verlag lieferbar sind. Die Bandbreite von Sansals Werken reicht von postkolonial über poetisch bis dystopisch, so etwa im Roman „2084“, einer an George Orwell geschulten Theokratie als Dystopie. Sie handelt von einem fiktiven Land, in dem nur noch eine Sprache gesprochen werden darf – die des Regimes.

Der Abend im Deutschen Theater Berlin war – nach ähnlichen Veranstaltungen im Literaturhaus Leipzig und in Paris – nicht die erste Solidaritätsaktion für Sansal, und er wird – bei dieser prominenten Gemeinde an Fürsprechern – hoffentlich nicht der letzte sein. Den traurigsten Satz des Abends sprach Sansals deutsche Verlegerin: „Ich stelle mir die Frage, ob wir ihn lebend wiedersehen.“