Diese zehn Hörbücher sollten Sie kennen
Schauspieler wollte er werden, Hörspieler wurde er. Die Berufsbezeichnung hat er sich vor vielen Jahren selbst gegeben: „Ich stelle mich ja nicht zur Schau. Ich bin nur zu hören. Deswegen Hörspieler.“ Sagt Andreas Fröhlich, der 1965 in West-Berlin geboren und mit sieben Jahren im Kinderchor des SFB entdeckt wurde. Schon 1973 hatte er erste eigene Rollen. Und seit sage und schreibe 1978 gibt er Bob Andrews vor dem Mikrofon, eines der „Drei ???“ in der legendären Hörspielreihe, die bis heute produziert wird und mehr als 50 Millionen Tonträger verkauft hat. Unzählige andere Hörspiele, Features und Hörbücher aus allen Genres kamen hinzu.
Seit Jahrzehnten ist Fröhlich auch Synchronsprecher, etwa als deutsche Stimme von Hollywoodgrößen wie John Cusack („High Fidelity“) oder Edward Norton („Fight Club“), und für Peter Jacksons „Herr der Ringe“-Verfilmung sprach er nicht nur den Gollum, sondern übernahm auch Buch und Regie für die deutsche Synchronfassung. Es lag nahe, Andreas Fröhlich nicht nach liebsten Büchern zu fragen, sondern nach Hörbüchern – und Stimmen, die sich für ihn mit ganz bestimmten Geschichten verbinden. Nachstehend stellt er seine Auswahl vor (aufgezeichnet von Marc Reichwein):
Robert Louis Stevenson: Die Schatzinsel, gesprochen von Harry Rowohlt
Meine allererste Begegnung mit der „Schatzinsel“ hatte ich 1972, als ich das erste Mal von West-Berlin in die DDR fuhr, zu meinen Verwandten nach Dresden. Im Phonoschrank meines Halbbruders Joachim entdeckte ich die Hörspielfassung der Schatzinsel – die legendäre Litera-Aufnahme aus den späten 1960ern. Fortan war ich süchtig, infiziert vom Medium Hörspiel. Es gibt rund 20 Audioversionen der „Schatzinsel“, ich selbst habe auch mindestens zwei eingelesen, für Oetinger Audio und Ohrenkneifer. Meine liebste Hörfassung ist allerdings die mit Harry Rowohlt.
Niemand kann überzeugender Seeräuber und Papageien zum Leben erwecken als Harry Rowohlt, er gurgelt, hustet und poltert sich so wunderbar durch die Geschichte, dass man einfach an seinen Lippen hängt, selbst, wenn man nicht jedes Wort versteht. Rowohlt war ja von Haus aus kein Schauspieler, sondern Übersetzer. Seine Live-Lesungen, bei denen der Alkohol nicht fehlen durfte, waren berühmt und berüchtigt. „Schausaufen mit Betonung“ hat er das selbst genannt. Wenn Harry Rowohlt die Schatzinsel interpretiert, bekommt man Rowohlt „pur“. Besonders schön, wenn er als Kapitän Flint die gesamte Mannschaft zusammenschreit.
Jack London: Der Seewolf, gesprochen von Sebastian Koch
Wie so viele meiner Generation bin ich mit dem „Seewolf“ in den 1970ern durch den legendären TV-Adventsvierteiler von Wolfgang Staudte in Berührung gekommen. Später las ich das Buch und war erstaunt, dass es in erster Linie gar kein reiner Abenteuerroman ist. Vielmehr geht es um philosophische Fragen. Inwieweit wir uns von Abgründen faszinieren lassen. Welche Werte wir suchen. Was Männlichkeit ist. Und ob es besser ist, in der Hölle zu herrschen, als im Himmel Knecht zu sein.
Die Zitate, zum Beispiel von John Milton, habe ich damals, als junger Mensch mit 13, 14 Jahren, natürlich überhaupt nicht verstanden. Aber irgendwie hat die Lektüre meinen Blick auf die Welt geschärft.
Ich war nie sonderlich fasziniert von der Hauptfigur Wolf Larsen, sondern fand den erfolgreichen Schriftsteller Humphrey van Weyden, der Schiffbruch erleidet und Kombüsenjunge wird, viel interessanter. Wie bei jedem Klassiker gibt es diverse Hörbuchfassungen: Die von Ben Becker eingelesene ist mir zu theatralisch und selbstverliebt. Mein Favorit ist die zurückgenommene und distanzierte Haltung von Sebastian Koch.
Otfried Preußler: Krabat, gesprochen vom Autor
Diesen Text musste ich in der Klasse vortragen, beim Vorlesewettbewerb Mitte der 1970er-Jahre, und bin kläglich gescheitert. Ich war früher kein guter Vorleser. Ich las viel zu schnell, wollte durch den Text galoppieren, damit die Folter bald ein Ende hatte. Ganz wichtig: Wenn man als Vorleser denkt, man sei zu langsam, ist man immer noch zu schnell. Wie man richtig gut vorliest, kann man von Otfried Preußler lernen. Angeblich hat er sich die Geschichte von Krabat beim Herumspazieren selbst erzählt und sie dabei auf sein Diktiergerät gesprochen.
Er tastet sich durch den Text, fast zaghaft, macht Pausen in den Sätzen, manchmal sogar in einzelnen Worten. Er wechselt das Tempo innerhalb der Zeilen, ist manchmal sehr dynamisch, dann wieder verzögert und retardierend. Und er hat diese leicht böhmische Einfärbung in der Sprache. Das macht das Ganze authentisch und einzigartig. Wenn man genau hinhört, glaubt man, im Hintergrund die Tannen im Koselbruch rauschen zu hören.
J.R.R. Tolkien: Der Hobbit – als WDR-Hörspiel von 1980
Wenn die Zwerge in diesem Hörspiel anfangen zu singen, dann kann Peter Jacksons Verfilmung einpacken. Ich habe diese Fassung vom WDR mit 15 oder 16 zum ersten Mal im Radio gehört und hatte vorher von Tolkien überhaupt keine Ahnung. Aber ich weiß noch, ich saß in der Badewanne und war begeistert. Ganz besonders von der Figur Gollum, die hier von Jürgen von Manger interpretiert wird, also Tegtmeier (Mangers Figur des Ruhrgebiets-Kleinbürgers Jürgen Tegtmeier war im Hörfunk und Fernsehen der 1960er- und 1970er-Jahre Kult, Anm. d. Red.).
Es gibt im Netz einen Audioclip, in dem Tolkien höchstselbst aus dem Kapitel „Rätsel im Dunkeln“ liest. Tegtmeier, beziehungsweise Jürgen von Manger, als Gollum kommt der Interpretation von Tolkien extrem nah, obwohl er das damals mit Sicherheit niemals gehört haben konnte, denn diese Aufnahme wurde erst später aus irgendeinem Archiv gefischt. Für mich damals eine Offenbarung. Umso schöner, dass ich viele Jahre später als Synchronstimme von Andy Serkis auch in die Rolle von Gollum schlüpfen durfte. Für mich die mit Abstand spannendste Synchronarbeit, die ich jemals übernommen habe.
Patrick Süskind: Das Parfum, gesprochen von Gert Westphal
Gert Westphal war der „König der Vorleser“. Katia Mann, die Ehefrau von Thomas Mann, nannte ihn einst sogar „Des Dichters oberster Mund“. Westphal hat grundsätzlich nur das vorgelesen, von dem er wirklich überzeugt war. Süskinds Geschichte hätte er normalerweise gar nicht in die Hand genommen, denn Westphal beschäftigte sich fast ausschließlich mit verstorbenen Autoren, also Fontane & Co. Doch „Das Parfum“ muss er wirklich gemocht haben. Und das hört man: Westphal inhaliert den Text und kostet ihn olfaktorisch komplett aus. Fast hat man das Gefühl, Süskind hatte Westphals Stimme schon im Ohr, als er seine Geschichte über den Mörder Jean-Baptiste Grenouille zu Papier brachte. Leider ist die Fassung mit Westphal nur noch antiquarisch zu finden. Eine Schande.
Thomas Bernhard: Beton, gesprochen von Peter Fitz
„Beton“ ist die Geschichte des Schriftstellers Rudolf, der eine Studie über seinen Lieblingskomponisten Felix Mendelssohn-Bartholdy schreiben will. Doch er gerät schon auf der ersten Seite ins Stocken und macht dafür seine Schwester und die ganze Welt verantwortlich. Die Interpretation von Peter Fitz ist sensationell, weil er den Text nicht monoton runterrattert, wie man Bernhard sonst gerne vorträgt. Vielmehr lässt Fitz den Text „menschlich atmen“, und lotet so nicht nur das Grauen, sondern auch die Komik des Alpen-Grantlers Bernhard aus. Warum der Text „Beton“ heißt, erfährt man ganz am Schluss. Unbarmherzig und mit einem Knall.
Erlend Joe: Doppler, gesprochen von Andreas Fröhlich
In Norwegen hat Loe Kultstatus, seine Helden zeichnen sich dadurch aus, dass sie mit den Dingen des täglichen Lebens heillos überfordert sind. Sie scheitern an total lächerlichen Problemen. Bei Doppler stürzt der Held der Geschichte über eine Wurzel im Wald. Mit dem Fahrrad. Er verliert kurz das Bewusstsein und entscheidet sich, im Wald zu leben, freundet sich mit einem Elchkalb an und lebt vom Tauschhandel und Magermilch.
Später stellt er einen Totempfahl für seinen verstorbenen Vater auf und denkt über das Leben nach – sein Leben als Familienvater in der Midlife-Crisis. Die Geschichte ist unendlich komisch, skurril und teilweise surreal. Erzählungen in der Ich-Perspektive liegen mir am meisten. Ich habe damals keinen Verlag gefunden, also habe ich das Hörbuch selber produziert. Geld habe ich nicht damit verdient, aber dafür 2010 den Deutschen Hörbuchpreis als bester Interpret erhalten.
Walter Kempowski: Tadellöser & Wolff, gesprochen vom Autor
„Tadellöser & Wolff“ ist Teil von Kempowskis „Deutscher Chronik“ in neun Bänden und erzählt von dessen Kindheit und Jugend in Rostock zwischen 1938 und 1945. Der Roman ist vielen auch durch Eberhard Fechners kongeniale Verfilmung bekannt.
Zu Kempowskis Lebzeiten wollte ich immer mal nach Nartum, um ihn bei sich zu Hause zu erleben. Haus Kreienhoop sei so etwas wie sein zehnter Roman, hat er mal gesagt. Ich war insgesamt bei drei, vier Kempowski-Lesungen. Mit diesem leicht bräsigen, norddeutschen Singsang hat er das Publikum charmant eingelullt. Später sollte ich in Hamburg aus „Im Block“ vortragen. Ich habe das abgesagt, denn nur Kempowski kann Kempowski vorlesen.
Cormac McCarthy: Die Straße, gesprochen von Christian Brückner
Der große Christian Brückner, bekannt als „Die Stimme“, ist einer meiner Lieblings-Hörbuchinterpreten. Wie nie zuvor verschmelzen hier Text und Vorleser zu einem geflüsterten Weltuntergangsmonolog. Cormac McCarthys „Die Straße“ ist sehr düster. Definitiv nichts, das man hören sollte, wenn man gute Laune bekommen möchte: Vater und Sohn wandern durch ein verbranntes Amerika, bewaffnet mit einem Revolver und zwei Schuss Munition schieben sie einen Einkaufswagen mit ihren Habseligkeiten vor sich her.
So deprimierend und hoffnungslos sich das postapokalyptische Setting darstellt, so zärtlich und melancholisch wird die Beziehung zwischen Vater und Sohn beschrieben. Meisterhaft beweist Brückner mit seiner Interpretation, dass das Leise am Ende oft das Lauteste ist.
Walter Moers: Die Insel der Tausend Leuchttürme, gesprochen von Andreas Fröhlich
Bekanntlich meidet Moers die Öffentlichkeit, möchte als Schriftsteller weder in Bild noch Ton in Erscheinung treten. Seit dem Tod von Dirk Bach, dessen Moers-Lesungen ich persönlich sehr geschätzt habe, bin nun ich die Stimme Zamoniens – in Interviews, Podcasts und bei Lesungen. Mittlerweile habe ich acht Bücher von Walter Moers eingelesen und freue mich stets auf das nächste.
Um dem 1000 Jahre alten, dichtenden, hypochondrischen Lindwurm Hildegunst von Mythenmetz eine unverwechselbare Stimme zu geben, schiebe ich meinen Unterkiefer beim Lesen immer ein bisschen nach vorne. Das ist bei Büchern über 800 Seiten nicht unanstrengend und eine Herausforderung an Zunge und Stimmbänder. Als Dankeschön schickt mir Walter Moers zu Weihnachten jedoch immer ein opulentes Paket mit Salbeitee, Drachengold und Rotwein. Damit ich bei Stimme bleibe und auch das nächste Buch noch einlesen kann.