Am Ende schiebt man alle Schuld auf den Champagner
In dieser „Fledermaus“ ist nicht nur musikalisch einiges anders, es wird endlich auch mal die Vorgeschichte der berühmtesten Operette überhaupt erzählt. Die spielt merkwürdigerweise am Rhein-, statt am Donauufer. Und dem im Fledermauskostüm gestrandeten, nicht mehr ganz nüchternen Herren vor der Domkulisse stehen plötzlich die Schwadnüsse vun Düx – Klatschtanten von Deutz – gegenüber. Johann Strauss’ Singspiel wurde hier im Geiste des Lokalhelden Jacques Offenbachs gegen den Strich gebürstet und heißt „De kölsche Fledermaus“.
Die Oper Köln ist das einzige Musiktheater weltweit, wo schon vorab, ohne jedes administratives Marketing-Zutun, 30 Vorstellungen ausverkauft und Tickets Bückware sind, obwohl dort einen kompletten Monat lang gar keine Opern aufgeführt werden. Aber musiziert, gesungen, ja sogar getanzt wird trotzdem. Und zwar von 111 Mitgliedern des Kölner Männergesangsvereins (KMGV) – eigentlich eine Bastion der Tradition.
Gegründet 1842, singt man seither im Frack das Schönste aus Oper und Oratorium, dazu Volks- und Weihnachtslieder, gern auch Karnevalsmedleys. Doch seit 151 Jahren gibt es auch bei den sonst so würdigen Herren eine fünfte Jahreszeit: In der spielen sie nämlich hingebungsvoll in der Oper: respektive in deren Dauerersatzdomizil Staatenhaus ihr „Divertissementchen“, in Mundart zärtlich „Zillchen“ genannt. Für das wiederum gibt es als Verein im Verein die Bühnenspielgemeinschaft Cäcilia Wolkenburg – die Hausheilige der Musiker hat zufälligerweise eine Kirche in der Nähe des historischen Sängerdomizils eben der Wolkenburg.
Und im Divertissementchen führen diese enthemmten, dabei sehr disziplinierten Laien nun singend, spielend und eben auch tanzend jedes Jahr ein immer anders zwischen Operette, Singspiel, Revue, Juxe-Box-Musical changierendes, selbst geschriebenes Stück auf. Darin wird in opulenter Ausstattung mit großem Orchester wie Band Lokalpatriotisches strikt auf Kölsch verarbeitet, und alle Rollen, ganz besonders auch die Damen, werden von den naturgemäß männlichen Chormitgliedern verkörpert. Hier war das noch nie ein Diskurspunkt, schließlich ist die Jungfrau im karnevalistischen Dreigestirn neben Prinz und Bauer ebenfalls seit alters her ein Kerl. Und auch als solcher zu erkennen. Beim Divertissementchen gibt es ebenfalls keine Gummibusen und Spandaxwäsche, jeder Mann ist immer noch Mann und als solcher thematisiert er sich auch beständig – nur eben in Frauenkleidung.
Trotzdem ist es erstaunlich, wie vor der von den Spitzen der Kölner Stadtgesellschaft – Oberbürgermeisterin, Kulturdezernent, Opernintendant – besuchten Premiere hinter der Bühne Sonderschullehrer, Bankdirektoren, ja selbst der Ex-Oberbürgermeister von Bonn mit Schminke in Gesicht und im Kostüm bereits ihre Persönlichkeit und Gestik verändern, die Herren Damen ganz besonders. Das hat nichts von Dragqueens, hier geht es kaum um die perfekte Imitation oder die ins Groteske gesteigerte Definition von Weiblichkeit, man ist eher näher bei Shakespeare. Genauso wie die elf Balletttänzer plus Biene Maja im Tütü, als watschelnde Charlie-Chaplin-Parade, Charleston-Girls oder ägyptische Tempelpriesterinnen nie albern peinlich parodieren, sondern immer genau auf ihr Können zurechtchoreografierte Formationen ausführen.
Frech genug
Im Divertissementchen stehen zwar nur Laien drei flotte Spielstunden lang auf der Bühne, aber die werden von Profis in ihrem komisch-ernsten Tun angeleitet: Regisseur und Autor Lajos Wenzel ist sonst Intendant am Theater Trier. Chordirigent Bernhard Steiner arbeitete bei den Wiener Sängerknaben und ist stellvertretender Generalmusikdirektor am Theater Hagen. Die Bergischen Symphoniker spielen auf, und die Kölner Opernmitarbeiter sind mit Leib und Seele dabei.
Es gibt Textschreiber, Musikarrangeure, alles ist wie am Broadway oder West End klar arbeitsaufgeteilt. Und so bestehen die 31 Musiknummern dieser Kölner „Fleddermuus“ aus Strauss und Schlagern, Karnevalsliedern von den Bläck Fööss, Kasalla oder den Höhnern sowie Klassik-Hits: Eine bestens bewährte, überraschend-abwechslungsvolle Mischung, bei der vieles angerissen wird, schnell wechselt, begeistert publikumsuntermalte Klatschmärsche und obligatorische Tanzeinlagen Tempo machen.
Die mit 400 prachtvollen Kostümen in die Zwanziger verlegte „Fledermaus“ ist erstaunlicherweise zum ersten Mal gekonnt parodistisches Zillchen-Thema: Dabei geht es, etwas variiert, um einen sein Amt verlierenden Karnevalsprinzen (im Originalkostüm) und dessen Rache. Obwohl Operetten durchaus regelmäßig wie auch Opern und Lokalschoten als Divertissementchen-Stückvorlagen herhalten müssen. Zum 150. Jubiläum gab es im letzten Jahr auch erstmals ein schwules Liebespaar, wobei neuerlich die Frau sich als Mann bekennen musste, bis da zwei küssende Kärls standen.
Da ist es diesmal braver und doch frech genug: „Mehr Verwicklung, weniger Moral“, weiß eine der vielen, hinzuerfundenen Personen; schließlich muss hier jeder beschäftigt werden. Doch die Lokalpointen in knallhartem Kölsch kommen das ganze Stück über so pfeffrig, dass man am Ende, im Gefängnis Klingelpütz, ganz strausskonform feststellt: „Champagner där is schold daran“.
So bleibt auch beim 151. Divertissementchen der Cäcilia Wolkenburg nur zu resümieren: Es hätt noch emmer joot jegange. Und weil man im Umkreis von 100 Kilometern weltberühmt ist, wird auch diesmal wieder der WDR eine 90-Minuten-Fassung aufzeichnen. Und dann steht das lokalstolze Zillchen für 12 Monate in der ARD-Mediathek. Selbst das 152. Divertissementchen ist schon geschrieben, denn am Aschermittwoch ist bei Cäcilia Wolkenburg nicht alles vorbei, da geht es bereits wieder los. 2026 heißt es „E Lewe för Kölle“ – zum 150. Geburtstag von Konrad Adenauer.
Und bis dahin gastiert der KMFV, weil es so schön war, mit reinen Strauss-Konzerten, nicht nur in Köln, sondern auch in der Elbphilharmonie und im Wiener Musikverein. Getreu seinem Motto: durch das Schöne stets das Gute.