Rockstars im Interview: „Wir wollten einfach Krach machen“
Wenn man sich für die Berufslaufbahn Journalismus entscheidet oder davon träumt, ist da im Hinterkopf eigentlich auch immer diese eine Person, die man unbedingt einmal persönlich sehen, treffen und befragen wollte. Meist sind das keine Politiker, sondern Sportler, Schauspieler und natürlich Musiker. Wovon viele Journalistinnen und Journalisten nur träumen, ist Alex Gernandt gelungen.
Der versierte Musik-Journalist und langjährige „Bravo“-Chefredakteur hat seine besten Interviews mit den großen Rockstars des 20. Jahrhunderts nun als Buch veröffentlicht. Es ist ein Buch wie Sampler, ein Schein für alles, was im Rock Rang und Namen hat und hatte – und natürlich überwiegend Männer.
Vom Fanziner zum Bravo-Chefredakteur
Gernandt gründete in den frühen 1980ern mit Freunden das Underground-Metal-Fanzine „Shock Power“, das er bis in die USA vertrieb. Nach Stationen bei Musikmagazinen wie „Rock Power“ und „Metal Hammer“ kam er zur Bravo, begann als Reporter und war bis 2013 dort Chefredakteur. Inzwischen arbeitet er als freier Autor für Magazine wie „Spiegel“, „Classic Rock“ oder „Good Times“.
Der Neid vieler, seien es Kollegen oder Fans, ist Gernandt für seine Begegnungen sicher. Gerade bei Musikern im Allgemeinen und Rockstars im Besonderen ist oft zu beobachten, dass die Interviewer (zumeist Männer) meinen, sich durch ihre Fragen profilieren zu müssen. Je länger und detaillierter die Frage, umso kompetenter muss der fragende Journalist doch erscheinen. Oder nicht? Gernandt hat einen angenehmen Interview-Stil, ist in den besten Momenten nur Stichwortgeber. Seine Fragen lassen jederzeit Sachkenntnis und Detailwissen erkennen. Doch seine Fragen sind, wann immer möglich, kurz, knapp, präzise. Der Ball ist schnell wieder beim Star, um den es geht. Der Interviewer weiß: Bei den Legenden interessiert sich niemand für das neue Projekt oder das letzte Album. Es sind die Geschichten von früher, die Anfänge, die ziehen.
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Das Buch:

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Alex Gernandt: Wir wollten einfach Krach machen – Die größten Legenden des Rock im Interview
Erschienen bei: TriMax media
Gernandt kitzelt die Anekdoten aus den Großen der Branche raus, die man lesen will. Denn wen interessiert, wie Paul McCartney die Nacht verbracht hat oder wie er sein Frühstücksei isst? Der Rock, die Bands, die Touren, das wilde Leben, die Drogen und das Leben. Das sind die Themen dieses Buches. Und man erfährt viel.

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Deutlich wird: Manche Stars sind auch selber ein großer Fan von sich. Andere geben sich ausgesprochen bescheiden. Angus Young zum Beispiel. Er meint: „Als Künstler sollte man sich von der Außenwelt abschotten, sonst verliert man den Bezug zur Realität. Deshalb gehe ich auf Tour so oft wie möglich raus, ganz allein, ohne Bodyguards. Auf der Straße kamen mir mal zwei Fans entgegen. Einer sprach mich an: „Hey, du bist doch Angus Young von AC/DC!“ – „Ja“, nickte ich und dann meinte der andere: „Nee isser nicht! Komm weiter...“ (lacht). Aber damit kann ich leben. Mir reicht die Aufmerksamkeit, die ich auf der Bühne bekomme, vollkommen aus“, verrät Angus Young.
Der AC/DC-Gitarrist in der deutschen Provinz
Und über sein Alltagsleben, ein Tabuthema für viele Stars, sagt er: „Wir führen ein ganz normales Leben, so ein klischeehafter Rockstar-Lifestyle ist nicht mein Ding. Ich stehe nicht auf Luxus und dicke Autos, habe ja nicht mal einen Führerschein. Wir wohnen in Holland in einer Kleinstadt nahe der deutschen Grenze und haben ein Haus in einem Vorort von Sydney. (...) Und wenn ich mal mit meiner Frau über die Grenze fahre und etwa in Bocholt durch die Fußgängerzone spaziere, kümmert das keinen.“
Rockstars und Autos sind auch so eine Sache. Angus Young macht sich nach eignen Aussagen nichts daraus. Und Ray Davies von den Kinks erinnert sich mit Grausen an seinen Führerschein, den er erst im Alter von 45 Jahren machte: „Weil ich die meiste Zeit in einem Tourbus saß. Die erste Fahrprüfung war der Horror, ich fuhr aus Versehen eine ältere Dame an. Natürlich stieg ich sofort aus, um ihr zu helfen – ich hatte aber glatt vergessen, die Handbremse anzuziehen. Der Wagen rollte weiter, mitsamt Prüfer und Fahrlehrer. Bei der zweiten Prüfung trank ich mir Mut an, auch keine gute Idee. Irgendwann hat’s geklappt, aber heute versuche zu vermeiden, hinterm Steuer zu sitzen.“
Davies hat noch andere Anekdoten auf Lager. So berichtet er, wie er bei einem Raubüberfall bei einer in New Orleans 2004 lebensgefährlich verletzt wurde. Und er spricht über den Prozess des Song-Schreibens: „Als Musiker gehts einem wie einem Schriftsteller. Man sitzt vor einem leeren Blatt und muss sich überlegen, wie man es sinnvoll füllt. Es ist jedes Mal aufs Neue spannend, auch nervenaufreibend. Bei einem Buch sind die ersten Sätze entscheidend, bei einer Platte der erste Song.“
Die Stars und ihre Idole
Die Stars outen sich auch regelmäßig selbst als Fans oder Bewunderer anderer Künstler, besonders, wenn sie sich von diesen verstanden fühlen. Schock-Rocker Alice Cooper. der nach eigener Aussage sein „Publikum eher verwirren als schocken wollte“, erzählt dem Interviewer: „Der große Comedian und Entertainer Groucho Marx, mit dem ich bis zu seinem Tod befreundet war, sah einst meine Show und meinte: „Was du da machst, gleicht dem Vudeville-Theater der zwanziger Jahre.“ Er hatte es begriffen.“

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Cooper, Sohn eines Priesters, spricht auch über seine Religiosität: „Sonntags ging ich immer brav zur Kirche, und zwar aus Überzeugung! Das mache ich heute noch. Ich bete und lese täglich in der Bibel. Viele Leute können es kaum fassen, aber mir gibt das Kraft.“ Er erinnert sich, wie ihm als 19-jähriger Jimi Hendrix den ersten Joint seines Lebens anbot und er sich mit Janis Joplin besoff: „Wir waren eine trinkfeste Gang und nannten uns „The Hollywood Vampires“. Keith Moon von The Who und John Lennon gehörten auch zu dieser illustren Trinkerrunde. Da war was geboten.“ Auch seine Begnung mit Elvis Presley sind Thema, sein Alkoholismus und der Ausstieg.
Gernandt schafft es tatsächlich oft, dass die Rockstars privat werden. So spricht er mit Richie Blackmore über dessen besondere Beziehung zu Deutschland, dessen Lieblingsgericht (Kohlrouladen!) sowie natürlich den vielen Streit und die Zerwürfnisse mit Deep Purple.
Blackmores Band-Kollege Ian Gillan erzählt von seiner Zusammenarbeit mit Lucian Pavarotti, mit dem er einst „Nessun Dorma“ sang: „Er schrie: „Are you fucking crazy?“ Du willst mit mir „Nessun Dorma“ singen? Er kriegte sich gar nicht mehr ein vor Lachen, aber ich meinte es ernst.“
Politisch wird es selten
Aerosmith-Frontmann Steven Tyler reflektiert über das Musik-Geschäft gestern und heute: „Bis Mitte der 70er waren wir dreimal kreuz und quer durch die Staaten getourt – die totale Ochsentour. Manchmal wurden wir sogar von der Bühne gebuht. Heute kann man allein durch Youtube-Videos berühmt werden, ohne einen Fuß vor die Tür zu setzen. So ist nun mal die Zeit.“
Ozzy Osbourne gibt den Beziehungstipp: „Absence makes the heart grow fonder“ – Abwesenheit lässt die Liebe wachsen. Und das Zitat zum Titel „Wir wollten einfach Krach machen“ stammt übrigens aus einem Interview Gernandts mit Jimmy Page.

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Politisch wird es eher selten in den Interviews. Eine der wenigen Ausnahmen im Buch ist Gene Simmons von Kiss. Er bezeichnet sich nicht nur als Fan von Angela Merkel, sondern spricht auch über seine politischen Ängste als israelischer Migrant. Er habe Angst davor, „dass die fortschrittlichsten und gebildetsten Nationen dieser Erde, dazu zähle ich sowohl Amerika als auch Deutschland, die Demokratie verlieren könnten. Deutschland ist ein wunderbares Land mit großartigen Menschen – im Zweiten Weltkrieg war es das Gegenteil. Das soll zeigen, dass derselbe Staat sowohl gut als auch böse sein kann. Ich hoffe, das passiert nie wieder. Demokratie ist ein hohes Gut für das man sich einsetzen, ja kämpfen muss.“
Der einzigen interviewten Deutschen im Buch sind Doro Pesch und Dieter „Maschine“ Birr von den Puhdys. Auch da wird es politisch, wenn es etwa um die Ausladung von BAP aus dem Palast der Republik 1984 ging und die Puhdys einspringen mussten, auch Treffen der Band mit Erich Honecker werden besprochen. Ostalgisch wird es jedoch nur, wenn Birr bekennt, das einzige, was er an der DDR vermisse, seien „die schönen Ostbrötchen, die es für fünf Pfennige gab.“
Ein Buch, das rockt
Gernandts Œuvre kann sich sehen lassen. Das Buch enthält Interviews mit Paul McCartney, Roger Daltrey, Jimmy Page, Ronnie Wood, Ritchie Blackmore, Ozzy Osbourne, Angus Young, Gene Simmons, Tina Turner, Suzi Quatro, Steven Tyler, Alice Cooper, Doro Pesch, Lars Ulrich, Slash, Rob Halford, Jon Bon Jovi, Dieter Maschine Birr von den Puhdys und Dave Grohl.

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Aber auch Angehörige und Weggefährten kommen zu Wort. So sprach Gernandt mit Priscilla Presley über ihren Ex-Mann Elvis, mit Produzent Eddie Kramer über Jimi Hendrix und mit dem Star-Fotografen Jerry Schatzberg über Bob Dylan.
Angereichert ist das Buch mit vielen Fotos und Memorabilia wie Autogrammen, Karikaturen und Selbstporträts. Es ist ein Buch voller Nostalgie, voller Anekdoten, Einblicke, Warnungen und Geständnisse. Es zeichnet Karrieren nach, die es so nicht wieder geben wird, weil das Business mittlerweile anders funktioniert, Musik anders gemacht wird und auf anderen, meist virtuellen Plattformen zum Durchbruch kommt.
Man kann mit diesem Buch viel Spaß haben, und für Rock-Liebhaberinnen und Liebhaber wird es sich möglicherweise zur Weihnachtsgeschenkidee mausern. Eine Frage muss man sich jedoch unweigerlich stellen: Wie konnte der Verlag dieses Buch, das voller schicker Fotos ist, mit einem derart hässlichen Cover herausbringen? Das ist einfach nur traurig und unnötig. Denn dieses Buch rockt. Das Cover aber überhaupt nicht.