Eine Ausstellung in Eberswalde mit Ellen Auerbach und Lea Grundig: Künstlerische Heimatsuche im palästinensischen Exil
Begegnet sind sie einander nie, und doch verbindet beide viel. Eine Ausstellung im Museum Eberswalde bringt auf den ersten Blick überraschend die Künstlerinnen Ellen Auerbach und Lea Grundig zusammen: beide Jahrgang 1906 und Jüdinnen, beide emigrierten aus Nazi-Deutschland nach Palästina. Mithilfe ihres künstlerischen Instrumentariums – bei Auerbach war es die Kamera, bei Grundig der Zeichenstift und die Feder – versuchten sie die Umstände ihrer Flucht, das Eintauchen in eine völlig fremde Umgebung zu verarbeiten. Darin stehen sie sich erstaunlich nahe.
Die von Eckhart Gillen kuratierte Ausstellung stellt eine Entdeckung dar: Glaubte man das Werk beider Künstlerinnen gut zu kennen, so kommt hier ein neues Kapitel ihres Lebens und Schaffens hinzu, das bisher eher unterbelichtet war. Zugleich führt die eindringliche Schau unter dem Dach des ältesten Fachwerkbaus von Eberswalde, in dem sich seit dem 17. Jahrhundert bis Mitte der 1980er Jahre die Adler-Apotheke befand, zurück an die Anfänge des Israel-Konflikts, der heute unlösbarer denn je erscheint. Verweise finden sich auch in den Bildern von Ellen Auerbach und Lea Grundig.
Da wäre jene Aufnahme Auerbachs von einem im Bau befindlichen Haus in Jaffa vom April 1936, das Spuren der Zerstörung zeigt. Im selben Monat war der sogenannte Arabische Aufstand ausgebrochen. Schon zuvor hatte es Gewalt gegeben, das sprunghafte Ansteigen der jüdischen Bevölkerung seit 1933 führte zu Spannungen, ebenso die Enttäuschung darüber, dass die britische Regierung sich weigerte, das Mandatsgebiet als arabischen Staat in die Unabhängigkeit zu entlassen.
Wie die Künstlerinnen selbst über die Konflikte dachten, ist nicht überliefert, es gab Zensur. Allein in einem Brief, den Lea Grundig einem in die Schweiz zurückkehrenden Freund mitgeben konnte, äußert sie sich offener. Schon damals sprach sie sich für eine Zweistaaten-Lösung aus. Sie war auch diejenige, die sehr viel länger im Land blieb, Hebräisch lernte und Fuß zu fassen suchte. Von Lea Grundig ist der Ausspruch überliefert, dass sie in Israel ihre Freunde gehabt habe, in der DDR, in die sie 1949 zurückkehrte und zur Präsidentin des Künstlerverbands aufstieg, seien es Kollegen gewesen.
Empfohlener redaktioneller Inhalt
An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.
Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.
Die Annäherung ans Exil vollzieht sich auf dem Wasser, beide Frauen kamen mit Schiffen an. Ellen Auerbach hatte ihr florierendes Berliner Fotostudio ringl + pit, das sie mit Grete Stern führte, aufgeben müssen. Die Schließung bedeutete auch künstlerisch einen Bruch für sie. Fotografierte Auerbach zuvor Werbung streng grafisch im Bauhaus-Stil, so wird sie auf ihrer Reise zur Reporterin.
Auerbach fotografierte Arbeiter, Schuhputzer und viele Kinder
Auf der „Palästina“ filmt sie sogar. In kurzen Sequenzen porträtiert sie Passagiere, die sich an Deck die Zeit vertreiben, darunter Chaim Weizmann, den Präsidenten der Zionistischen Weltorganisation, oder im Kreis Hava Nagila tanzende junge Leute voller Vorfreude auf ihre neue Heimat. Steile Perspektiven behielt sie bei: etwa von der Reling runter auf das Treiben im Hafen von Alexandria oder später bei Fassadenanstreichern in Jaffa.
Ansonsten wirken die Aufnahmen eher konventionell. Ellen Auerbach fotografierte Obstverkäuferinnen, Menschen am Strand von Tel Aviv bei der Taschlich-Zeremonie, für die man am Neujahrstag an ein Gewässer geht, jüdische Bauarbeiter, arabische Straßenmusikanten, Schuhputzer und herumstrolchende Jungs. Sie sind alle mit großer Empathie, aber auch Distanz fotografiert. Heimisch wurde Ellen Auerbach in Israel nie. Als Zionistin sah sie sich nicht. In Tel Aviv machte sie einen erneuten Anlauf mit einem Fotostudio, mit dem sie sich auf Kinder spezialisierte.

© Akademie der Künste, Berlin, Kunstsammlung, Inv.: Lea Grundig 2762, VG Bildkunst Bonn 2025
Hier zeichnet sich ab, worauf sich die einst gefragte Fotografin später, nach ihrer weiteren Auswanderung 1936 über London nach New York spezialisieren sollte: In den USA wurde sie zur Therapeutin für Kinder mit Lernbehinderung. Ihre besondere Zugewandtheit zeigt sich bereits in den Bildern aus Tel Aviv. Bei Auerbach mussten die Kleinen für die Studioaufnahmen nicht gerade sitzen und nach vorne blicken, sondern durften spielen.
Auch wenn Ellen Auerbachs Aufnahmen wenig Spektakuläres zeigen, vor allem als Dokumentation des jüdischen und arabischen Lebens in den 1930ern in Palästina einen Wert besitzen, so stellt das Konvolut dennoch einen Schatz dar, der endlich gehoben ist. Ebenso wie Lea Grundigs Nachlass befindet sich ihr künstlerisches Erbe bei der Akademie der Künste in Berlin.
Bisher existierten nur die Negative dieser Phase. Für die Ausstellung wurden sie nun abgezogen und digitalisiert. Damit verbindet sich ein berührender Moment, der in der Eberswalder Ausstellung spürbar wird. Das Lebenswerk einer Künstlerin, die aus Deutschland fliehen musste, vervollständigt sich Jahrzehnte später. Die Fotografin starb 2004 mit 98 Jahren in New York.
Lea Grundig dagegen machte als Künstlerin weiter Karriere. Auch sie tastete sich an ihr neues Leben in Palästina heran, das für die Kommunistin abenteuerlich mit einer einjährigen Reise über Rumänien begann. Fast schien die Flucht kurz vor dem Ziel zu enden, weil die Briten die auf dem Schiff einreisenden Flüchtlinge nach Martinique umzulenken versuchten. Ein mutwillig geschlagenes Leck im Schiff sorgte dafür, dass die überlebenden Passagiere des riskanten Manövers als Schiffbrüchige doch noch an Land kommen durften.
Die Ausstellung
Ellen Auerbach und Lea Grundig – Zwei Künstlerinnen in Palästina, Museum Eberswalde, bis 27. April; Katalog (Schirmer Mosel Verlag) 36 €
Ihr erstes Jahr in Palästina verbrachte Lea Grundig im Flüchtlingslager Atlit, wo sie die geduldigsten Modelle fand, wie sie später gern erzählte. Man sieht ihnen die Langeweile an: eine nachdenkliche Frau, die halb liegend den Kopf aufstützt, eine Schlafende, eine stillende Mutter, ein Vater mit Kind und viele ernste Porträts von Menschen, die auf eine ungewisse Zukunft warten.
Das erstaunlichste Konvolut aber sind ihre Federzeichnungen vom Wüten der Nationalsozialisten, das sie so nicht miterlebt haben kann. Auf den Blättern sind Tote in den Straßen Polens zu sehen, die Verbrennung von Thora-Rollen, aus der „Ghetto“-Serie Hungernde, eine Kommandeuse, die ein Kind schlägt, Menschen am Sammelpunkt zum Abtransport. Woher Grundig die Informationen bezog, was ihre Quelle war, ist nicht bekannt. Gut möglich, dass der für die noch nicht gegründete UNO bestimmte „Polen-Report“ auch im Mandatsgebiet kursierte. Grundig zeichnete visionär ohne Vorlagen, ohne Fotografie wie Goya seine „Desastres della Guerra“.
1949 kehrte sie nach Deutschland zurück und wurde in der DDR als Funktionärin zur gestrengen Überwacherin der offiziellen Linie in der Kunst. Dass sie eine ähnlich weiche Seite wie Ellen Auerbach besaß, verrät die Vitrine gegenüber der Serie zu den NS-Verbrechen: lauter illustrierte Bücher für Kinder.