Wenn Nachfahren der Opfer hingehalten werden
In deutschen Museen befinden sich viele in der Zeit des Nationalsozialismus geraubte beziehungsweise verfolgungsbedingt entzogene Kunstwerke. Und sie liegen dort – als unrechtmäßiges Eigentum – wie Blei. Da Museen weltweit im Jahr 1998 mit den Washingtoner Prinzipien erklärt haben, diese Kunstwerke in einem „fairen und gerechten Verfahren“ zu restituieren, stünde einer jeweiligen Rückgabe nichts im Wege. Doch gerade nach deutscher Verfahrensweise obliegt die Beweislast bei den Erben, den Nachfahren der häufig jüdischen Opfer.
Wer die Provenienz und die Beschlagnahmung nicht hieb- und stichfest belegen kann, hat schlechte Karten. Die Museen waren sich dieser Problematik durchaus bewusst und haben – richtig ernsthaft erst nach dem spektakulären Fall Gurlitt und dem „Schwabinger Kunstfund“ von 2013 – ihrerseits die Bestände geprüft. Und viele Museen haben offenbar intern dokumentiert, welche Kunstwerke zu restituieren, also zurückzugeben sind.
Die „Süddeutsche Zeitung“ berichtete am 20. Februar 2025 von einer ihr jüngst aus den Bayerischen Staatsgemäldesammlungen durchgestochenen Liste mit rund 1000 solcher Fälle. Sie unterscheidet zwischen 200 rot markierten, einwandfrei als Raubkunst definierten, also bedingungslos zu restituierenden Objekten und 800 weiteren orange markierten, bei denen ein dringender Verdacht besteht, dass es sich um Raubkunst im weitesten Sinn handelt.
Das allein wäre nicht brisant, wenn sich nicht herausgestellt hätte, dass diese öffentlich nicht zugängliche Liste bereits aus dem Jahr 2020 stammt und quasi folgenlos samt den Kunstwerken im Depot der Bayrischen Staatssammlungen verwahrt wird. Der Eindruck entsteht, dass mit einer behördlich zusammengeführten Aufstellung bereits Genüge getan wäre. Von laufenden Restitutionsverfahren im Zusammenhang mit den gelisteten Werken ist öffentlich nichts bekannt.
Die Kritik, Informationen über diese Werke, ihre Herkunft und Geschichte zurückzuhalten und damit Restitutionsverfahren zu verzögern, wiesen die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen vehement zurück und kündigten an, presserechtliche Schritte gegen die „SZ“ zu prüfen. In einer Pressemitteilung vom 27. Februar 2025 begegnet sie den Vorwürfen dezidiert: „Tatsächlich gab es zum Zeitpunkt dieser Berichterstattung kein internes Museumsdokument mit 200 Werken, die als ‚Rot‘ gekennzeichnet sind“.
Eine rote Markierung werde bereits vergeben „wenn potenziell Betroffene Restitutionsansprüche erheben oder Raubkunstverdacht besteht, mithin Recherchebedarf gegeben ist“. Diese Markierung weise das Objekt nicht als ausrecherchiert und rückgabepflichtig aus. Außerdem habe man 53 der gekennzeichneten Werke bereits in der Lost Art-Datenbank des Zentrums Kulturgutverluste gemeldet und 82 der Bilder in der Online-Sammlung des Museums der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Es wird zudem darauf hingewiesen, dass seit 1998 25 Restitutionen vorgenommen worden seien, fünf davon zwischen 2020 und 2024.
Kunstminister fordert Tiefenrecherche
Markus Blume, Kunstminister der Bayerischen Staatsregierung, hatte sich zuvor beeilt festzuhalten: „Eine solche Liste gibt es heute nicht, und die hat auch dem Ministerium nie vorgelegen.“ Da die Verantwortung für das Versagen des Freistaats bei der Rückgabe von NS-Raubkunst naturgemäß oder besser staatsrechtlich das Ministerium und damit der Minister trägt, erklärt man inzwischen, dass bei der „vertieften Auseinandersetzung“ mit der Praxis der sogenannten Provenienzforschung bei den Staatsgemäldesammlungen „Fragen offengeblieben“ seien beziehungsweise „Raum für Missverständnisse und Fehlinterpretationen entstanden“ sei.
Blume mahnt also – jetzt weniger konsterniert, sondern ministerial an die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen gerichtet –, dass es in Zukunft mehr Transparenz, Nachvollziehbarkeit und Einheitlichkeit in der Provenienzforschung braucht. Bei allen in hohem Maß als Raubkunst eingestuften Werken solle es schnellstmöglich eine Tiefenrecherche geben. Zudem sollten auch Ergebnisse der Provenienzforschung kontinuierlich veröffentlicht werden. Für die systematische Einschätzung aller bisher nicht geprüften Kunstwerke solle bis Ende 2026 ein verbindlicher Zeitplan stehen. Blume kündigte zusätzliche Finanzmittel und Stellen an. Dafür stünde, so seine Entscheidung, eine Million Euro zur Verfügung.
Vom Vorwurf der unhaltbaren „Kampagne gegen die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen“ ging es binnen weniger Tage zum „Schuldeingeständnis zu den Versäumnissen der bayerischen Politik über Jahrzehnte“, wie es der Rechtsanwalt Markus Stötzel, der Nachfahren der beraubten und geschädigten Opfer vertritt, befindet. Was der Minister ankündige, seien Selbstverständlichkeiten, die schon seit 1998 hätten umgesetzt werden müssen. Stötzel wird sehr deutlich, spricht von einem durchsichtigen Ablenkungsmanöver, denn: „Sein Ministerium war die treibende Kraft in der Unterdrückung von Informationen und der Verschleppung von Verfahren. Ohne eine unabhängige Untersuchung der Missstände in Bayern wird das Problem nicht zu lösen sein.“
Einer der wesentlichen Missstände ist – man kann es nicht oft genug und mit größter anhaltender Verwunderung konstatieren – dass es bis heute in Deutschland keine gesetzliche Regelung zum Umgang mit Restitutionsgut gibt. Die Nachfahren der Opfer werden nach wie vor zu Bittstellern degradiert und schlimmstenfalls sogar hingehalten. In anderen Ländern – vorbildlich ist hier Österreich – hat es sich der Staat zur vornehmen Pflicht gemacht, aktiv nach den Erben zu suchen. Doch zuvor durchforstet eine unabhängige staatliche Behörde die Bestände der Museen nach geraubtem oder entzogenem Kulturgut. Wird sie fündig, gilt es die rechtmäßigen Erben aufzufinden. Einer Rückgabe steht nichts mehr im Weg. Und das Museum war die längste Zeit unrechtmäßiger Besitzer eines Kunstwerks aus Zeiten eines ruchlosen Unrechtsregimes.