„Film kann Heilung sein“

Sie will politische Themen ansprechen, Aufmerksamkeit auf marginalisierte Gruppen lenken, auf soziale Missstände aufmerksam machen. Und sie hat ihr Medium dafür gefunden: Soleen Yusef ist Drehbuchautorin und Regisseurin für fiktionale Stoffe, hat sich unter anderem mit Werken wie der Netflix-Serie „Skylines“, „Sam – ein Sachse“ und dem Kinderfilm „Sieger sein“ in Deutschland und darüber hinaus einen Namen gemacht. Bei der Berlinale 2025 ist sie Teil der Jury für den Amnesty Filmpreis. Er zeichnet Werke aus, die sich dem Thema Menschenrechte widmen. Im Interview erzählt die Deutsch-Kurdin, die im Alter von neun Jahren aus den Kurdengebieten im Norden Iraks mit ihrer Familie nach Deutschland geflohen ist, von ihrer Rolle als Jurorin und der Kraft des Films.

Frau Yusef, wie wichtig ist es, sich auch im Film mit dem Thema Menschenrechte zu befassen?
Für mich ist es die Aufgabe der Filmbranche, neben dem klassischen Unterhaltungsfilm auch auf soziale oder politische Missstände aufmerksam zu machen und aufzuklären. Es ist wichtig, Anreize zur Reflexion zu schaffen, den eigenen Horizont zu erweitern. In Zeiten, in denen Diskriminierung zunimmt und Frauenrechte in den Hintergrund geraten, können wir Raum für Dialog schaffen. Deshalb ist der Amnesty Filmpreis auch so wichtig. Wir können einen wichtigen Anstoß für Veränderungen in der Gesellschaft geben, einen Lernprozess anstoßen und ich fühle mich geehrt, dass ich Jurorin für den Amnesty Filmpreis sein darf. Vor allem möchte ich aber auch einfach diese Filme sehen.
Es gibt viele Filme, die ihre Kraft außerhalb des Unterhaltungsspektrums entfalten.
Inwiefern sind Filme und Serien besonders geeignet, um sich dieser Themen anzunehmen?
Wir erreichen mit Filmen eine ganz andere Form von breiter Masse. Es ist eine künstlerische Form, in der wir uns für anderthalb oder zwei Stunden plötzlich zuhause fühlen, weit entfernt sind von propagandistischen Bildern oder politischen Strömungen. Ich habe in meinen ersten Berufsjahren viel Zeit auf Festivals verbracht, habe viele ambivalente Filme geschaut und so Erzählstimmen aus der ganzen Welt gehört; dann in einer Filmproduktionsfirma gearbeitet, die sich auf Filme aus der MENA-Region spezialisiert hat. Diese Filme haben sich oft mit Kriegsthemen befasst. Film kann eine Heilung sein und es gibt viele Filme, die ihre Kraft außerhalb des Unterhaltungsspektrums entfalten. Das ist eine Kraft, die in Deutschland oft noch unterschätzt wird.
Was ist Ihnen bei Ihren Projekten besonders wichtig?
Ich möchte Geschichten im politischen Kontext erzählen, über gesellschaftlich relevante Themen. Es geht mir darum, unterdrückte Stimmen zu stärken und eine gesellschaftliche Auseinandersetzung, im besten Fall auch einen Wandel anzuregen. Ich möchte persönliche Erfahrungen so komplex wie möglich erzählen, Geschichten authentisch darstellen, in die Themen und das Innenleben der Menschen eintauchen und ihnen so gut es geht gerecht werden. Mit meinen Filmen baue ich Brücken, sie sollen Vermittler zwischen Welten sein. Film an sich ist ein Ort der Begegnung, der Sehnsucht und der Hoffnung. Gleichzeitig ist es mir wichtig, an meinen Projekten wachsen zu können, sie sollen mich herausfordern. Das ist ein roter Faden, der sich durch meine Projekte zieht. So auch bei meinem Projekt „Sam – ein Sachse“, in dem es um afrodeutsches Leben in Ostdeutschland geht. Ein Thema, das bislang auch kaum stattfindet. Mir ist es enorm wichtig, mit meinen Arbeiten einen Beitrag zur Diskussion über Identität und Gerechtigkeit zu leisten.

In vielen arabischen Ländern wächst die Filmszene. Welche Potenziale sehen Sie für Kooperationen zwischen Deutschland und der arabischen Welt?
Das ist eine unentdeckte Welt mit vielen Erzählstimmen. Die arabische Welt wird in der Hinsicht unterschätzt. Ich war öfter auf dem Dubai-Filmfestival. Es ist krass, wie stark dort der Nachwuchs gefördert wird. Kooperationen können dazu dienen, dass wir gemeinsam kritische Themen bearbeiten, die uns alle angehen. Ausbeutung und Kapitalismus zum Beispiel. Die arabische Welt ist für uns beim Thema Film nicht so präsent, wir sind da sehr eurozentristisch oder westlich ausgelegt. Und dadurch wurden unsere Bilder abseits dieser Welt falsch geprägt. Es ist an der Zeit, das wiedergutzumachen und das Potenzial auszuschöpfen: mehr Vielfalt, andere Geschichten. Das haben wir verpasst, da zusammenzukommen in einem produktionellen Austausch.
Was wünschen Sie sich für die Zukunft des deutschen Films?
Größere Diversität. Für die Zukunft wünsche ich mir eine konsequentere Förderung von Vielfalt und relevanten Themen. Kino bleibt ein Ort der Unterhaltung, der Träume, Hoffnungen und großen Emotionen. Gleichzeitig können wir Aufklärung betreiben und einen gerechten und inklusiven Dialog fördern, der andere Perspektiven nicht ignoriert und verschiedene Lebensrealitäten darstellt.