Europäische Kommission gibt Medikament zur Alzheimer-Bekämpfung frei

Die Europäische Kommission hat erstmals eine Therapie zur Bekämpfung der Krankheitsprozesse zugelassen, die der Alzheimer-Erkrankungen zugrunde liegen. Der Antikörper Lecanemab, der die Krankheit im frühen Stadium behandeln und in der Lage sein soll, sie ein wenig zu verlangsamen, könnte demnach bereits in wenigen Monaten zur Verfügung stehen. Für die Therapie kommt Fachleuten zufolge jedoch nur ein sehr kleiner Teil der Alzheimer-Erkrankten infrage.

Laut der EU-Kommission ist Lecanemab das erste Medikament dieser Art, welches in der EU zugelassen wurde. Die Freigabe unterliegt strengen Auflagen, man sei aber insgesamt zu dem Schluss gekommen, dass der Nutzen des Medikaments bei einer bestimmten Gruppe von Patienten und unter bestimmten Voraussetzungen die Risiken überwiege.

Mit der Zulassung folgt die EU-Kommission der Empfehlung der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA), die die Therapie im November 2024 freigegeben hatte.

Mittel verlangsamt Alzheimer nachweisbar

Bisherige Alzheimer-Therapien behandeln lediglich die Symptome der Krankheit. Lecanemab setzt jedoch bereits an den ursächlichen Prozessen im Gehirn an: Der Antikörper wirkt gegen die Amyloid-Ablagerungen im Gehirn und soll dadurch den Verlauf der Krankheit in einem frühen Stadium verlangsamen. Allerdings bewirkt auch dieser Wirkstoff keine Heilung oder echte Verbesserung. 

Die Wirksamkeit der Therapie wurde im Voraus anhand von Messungen der kognitiven und funktionellen Symptome nach 18 Monaten beurteilt. Die Veränderungen in diesem Bereich wurden anhand einer Demenzbewertungsskala gemessen, die von 0 bis 18 reicht. Patientinnen und Patienten, die mit Lecanemab behandelt wurden, wiesen demnach einen etwas geringeren Anstieg der Symptome auf als Betroffene ohne Behandlung mit dem Wirkstoff im gleichen Zeitraum (1,22 zu 1,75).

Viele Unsicherheiten

Dies bedeutet jedoch nicht zwingend, dass Lecanemab in Zukunft breite Anwendung finden wird. Denn zu der Therapie bestehen weiterhin Fragen. Zum einen ist laut Fachleuten fraglich, wie alltagsrelevant die zu erreichenden Verzögerungen tatsächlich sind. Der gemessene Effekt sei für die Patienten und deren Umfeld ab einem bestimmten Punkt meist nicht mehr wahrnehmbar, sagte Walter Schulz-Schaeffer vom Universitätsklinikum des Saarlandes in Homburg. Bei Frauen sind die gemessenen Effekte darüber hinaus deutlich geringer als bei Männern. Zudem haben sie ein höheres Risiko für Nebenwirkungen.

Zudem ist Lecanemab nur zur Behandlung leichter kognitiver Beeinträchtigungen (Gedächtnis- und Denkstörungen) oder leichter Demenz in einem frühen Stadium von Alzheimer zugelassen. Der Grund dafür ist, dass der Eingriff durch das Medikament auf das Gehirn nichts mehr nützt, sobald durch die Krankheit dort irreversible Schäden angerichtet wurden. Aktuell befinden sich schätzungsweise etwa 250.000 Menschen in der frühen Phase – also den ersten drei Jahren – ihrer Alzheimer-Erkrankung.  

Hinzu kommt eine weitere Einschränkung: Freigegeben ist das Mittel nur für Patientinnen, die entweder eine oder keine Kopie des Proteins ApoE4 haben. Bei diesen Menschen ist die Wahrscheinlichkeit für bestimmte schwerwiegende Nebenwirkungen, wie Schwellungen und Blutungen im Gehirn, geringer als bei Menschen mit zwei ApoE4-Kopien.

Anwendung in einigen Monaten erwartet

Dies trifft laut Experten des Deutschen Zentrums für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) jedoch nur auf einen kleinen Teil der insgesamt 1,2 Millionen Alzheimer-Betroffenen in Deutschland zu. Von den 250.000 Betroffenen in der frühen Phase kämen mit Blick auf ApoE4 rund 80 Prozent grundsätzlich infrage, jedoch seien nur etwa zehn Prozent von ihnen auch an der Antikörpertherapie interessiert. In der Summe könnten damit etwa 20.000 Patientinnen und Patienten den Wirkstoff tatsächlich erhalten.

Bis das Medikament eingesetzt werden kann, wird es nach Schätzungen von Fachleuten noch einige Monate dauern. Zunächst müssten Kapazitäten zur Behandlung geschaffen werden, sowie ausführliche Handreichungen und Schulungen für Ärzte vom Hersteller ausgearbeitet und ein Beobachtungsregister angelegt werden. Lecanemab wird alle zwei Wochen intravenös verabreicht, die Kosten belaufen sich dabei auf etwa 6.000 bis 8.000 Euro pro Patient jährlich, sagte Johannes Levin vom DZNE. Hinzu kämen einmalige Kosten für die Diagnostik in Höhe von 1.400 bis 5.000 Euro.