Hirnzellen aus dem Labor könnten Parkinsonpatienten helfen

Manche Medizinbücher vergleichen das alternde Gehirn mit einem herbstlichen Laubbaum. Denn wie Zweige ihre Blätter verlieren, schwinden im Laufe des Lebens und umso mehr bei Krankheiten wie Parkinson die Nervenzellen – und das unwiederbringlich. Während Haut- oder Muskelzellen sich ein Leben lang teilen und heilen, regenerieren Nervenzellen im Gehirn nämlich kaum. Die Neurochirurgin Viviane Tabar aus New York möchte das ändern.

Mit ihrer Forschungsgruppe am Memorial Sloan Kettering Cancer Center arbeitet sie daran, Nervenzellen im Labor zu züchten und sie ins Hirn von Menschen mit einer Parkinsonerkrankung einzupflanzen. Wie eine Hüftprothese ein kaputtes Gelenk ersetzt, sollen die im Labor gezüchteten Nervenzellen sich im Gehirn neu vernetzen und jene Neuronen ersetzen, die durch die Erkrankung zugrunde gegangen sind. "Wir wollen das Hirn mit diesen Zellen reparieren", sagt Tabar im Gespräch mit .

Erstmals haben sie und ihr Team nun solche gezüchteten Nervenzellen zwölf Menschen mit Parkinson transplantiert und die Entwicklung der Patienten eineinhalb Jahre lang beobachtet. Das berichten die Forschenden in einer aktuellen Studie im Fachmagazin Nature. Die Daten zeigen, dass der neue Ansatz sicher und verträglich ist. Wie gut die transplantierten Hirnzellen tatsächlich wirken, müssen größere Studien noch belegen, aber manche Wissenschaftler sprechen schon jetzt von einem Meilenstein – zumal zeitgleich im selben Fachjournal noch eine zweite Studie japanischer Forscher erschienen ist, denen Ähnliches gelungen ist.

Nur: Wie schnell könnte es gehen bis zu einer zugelassenen Therapie, die Parkinsonerkrankten helfen würde? Und ließen sich auf ähnliche Weise auch andere Krankheiten des Gehirns behandeln, die derzeit noch als unheilbar gelten?

Dopamin-Neuronen aus Stammzellen

"Wir haben mehr als 20 Jahre lang auf diesen Moment hingearbeitet", sagt Viviane Tabar. Beim Videogespräch sitzt sie gemeinsam mit ihrem Kollegen und Ehemann Lorenz Studer in ihrem New Yorker Wohnzimmer. Sie haben sich 1995 kennengelernt und forschen seitdem zusammen. Ihre gemeinsame Arbeit an einer neuen Parkinsontherapie begann mit einer Frage: Wie schafft man es, genau die Hirnzellen zu züchten, die bei Parkinson zugrunde gehen? 

Viviane Tabar ist Neurochirurgin und Stammzellbiologin am Memorial Sloan Kettering Cancer Center. © [M] John Karsten Moran

Dabei handelt es sich um Neuronen jener tiefen Hirnregion, die für die Steuerung von Bewegungen zentral sind. Sie produzieren den Botenstoff Dopamin. Der ist vor allem für Belohnungskicks bekannt, kann aber deutlich mehr. Bei jeder Bewegung, wann immer wir nach etwas greifen oder uns umdrehen, sind die Dopamin-Neuronen im Hirn aktiv und ermöglichen eine fein abgestimmte und flüssige Bewegung. Fehlt das Dopamin, fehlt auch die Feinabstimmung. Deshalb leiden Parkinsonkranke an Bewegungsstörungen.

Sie zittern, und mit Fortschreiten der Erkrankung bewegen sie sich immer steifer und langsamer. Alltagshandlungen wie das Anziehen werden zur Herausforderung. In fortgeschrittenen Stadien, wenn fast keine Dopamin produzierenden Nervenzellen übrig sind, wirkt der Körper wie eingefroren. Medikamente gegen Parkinson können zwar die Symptome lindern, doch sie wirken mit der Zeit immer schwächer und verursachen oft Nebenwirkungen. Deshalb setzen Wissenschaftler unter anderem auf Zelltherapien.

Studer und Tabar forschen mit embryonalen Stammzellen. Zellen also, die sich im Laufe der natürlichen Entwicklung in jede Zellart des Körpers entwickeln können – auch in Dopamin-Neuronen. "Allerdings mussten wir erst herausfinden, wie wir diese natürliche Entwicklung im Labor nachahmen können", sagt Studer. "Dafür braucht es die richtigen Signale und ein genaues Timing." Vor 14 Jahren gelang ihnen der – wie beide sagen – entscheidende Durchbruch.

Lorenz Studer ist Direktor des Center for Stem Cell Biology am Memorial Sloan Kettering Cancer Center. © [M] Memorial Sloan Kettering Cancer

Sie schafften es, Dopamin-Neuronen im Labor herzustellen und sie Mäusen, Ratten und zuletzt auch Affen zu transplantieren, die an Parkinson litten. Die transplantierten Zellen überlebten und integrierten sich in die Tiergehirne. Und tatsächlich besserten sich daraufhin die Bewegungsdefizite der Tiere. Es war der Beweis, dass die Idee des Forscherpaars grundsätzlich funktionieren kann. Der Proof of Concept, den die beiden 2011 im Fachblatt Nature veröffentlichten.

Bevor sie mit den ersten Studien an Menschen beginnen konnten, dauerte es noch zehn weitere Jahre, um den Laborprozess zu verfeinern und noch genauere Nachbauten der Dopamin-Zellen in großer Zahl zu züchten. "Das sind echte Nervenzellen, die in ihrer Form und Funktion fast identisch sind mit ihrem natürlichen Vorbild", sagt Tabar. "Sie können sich im Gehirn mit anderen Nervenzellen vernetzen, Synapsen bilden und eigene Schaltkreise aufbauen."

Im Mai 2021 stand die Neurochirurgin schließlich im OP-Saal, vor ihr der erste der zwölf Probanden. Zuerst bohrte sie ein kleines Loch in den Schädel des Patienten, um ihm danach mit einer feinen Nadel die gezüchteten Zellen ins Gehirn einzusetzen. Den Weg der Nadel verfolgte sie in Echtzeit auf einer MRT-Bildgebung des Kopfes und steuerte sie so millimetergenau an den gewünschten Punkt, rund fünf Zentimeter unter der Hirnoberfläche. "Das war ein ganz besonderes Gefühl, diese Zellen, die ich im Labor gezüchtet und in Tieren erforscht habe, in ein menschliches Gehirn zu transplantieren", sagt Tabar.

Frische Dopamin-Neuronen, die leuchten

Die Patienten, über die sie in ihrer aktuellen Studie berichten, waren im Schnitt 67 Jahre alt. Fünf von ihnen erhielten eine niedrige Dosis, also 900.000 Neuronen pro Hirnhälfte, sieben eine hohe Dosis, was 2,7 Millionen Nervenzellen entspricht. Mit der höheren Dosis soll die natürliche Neuronenzahl im Gehirn wiederhergestellt werden. In ihr ist schon einkalkuliert, dass nur ein gewisser Anteil im Gehirn überlebt. Ein Jahr lang erhielten alle Patienten ein Immunsuppressivum, um Reaktionen auf die transplantierten Zellen zu unterdrücken. Nach weiteren sechs Monaten fertigte die Gruppe aus New York eine spezielle Bildgebung vom Kopf an, um zu sehen, ob ihre Zellen überlebt hatten und funktionierten.

Und sie funktionierten. Auf den Bildern leuchteten die Hirnregionen, in die die Forscher Zellen verpflanzt hatten, hell auf – ein Zeichen dafür, dass sie tatsächlich Dopamin produzierten.